men: o wie himmlisch wurde der Abend und die Erde: -- Am großen Abendhimmel über ihnen be¬ wegten sich Tulpenbeete von rothem Gewölke, zwi¬ schen denen blaue Streifen wie dunkle Bäche liefen. -- Hinter ihnen standen unter der Sonne Berge, wie Vesuve, in Flammen, und die Waldung, wie ein feuriger Busch und das über die Blumen laufende Steppenfeuer ergrif die Wolkenschatten. -- Und alle Lerchen hingen mit ihren Ripienstimmen der Natur nahe am rothen Deckenstücke des Abends und jeder tiefere Sonnenstrahl hielt eine summende Wesenkette von Mücken. -- Und in der Schäferei am Berge liefen rufend hundert Mütter an hundert Kinder zu¬ sammen und das stille Schaf eilte lärmend an sein durstiges niederknieendes Lamm -- --
Großer Abend! nur im Thal Tempe blühest du noch und verwelkest nicht; aber in wenig Minuten, Leser, brechen erst alle seine Blüten prächtig auf! --
Klotilde und Viktor gingen enger und wärmer aneinander gedrückt unter dem schmalen Sonnen¬ schirm, der beide gegen den flüchtigen Regen ein¬ bauete. -- Und mit Herzen, die immer stärker schlu¬ gen und statt des Blutes gleichsam andächtige Freu¬ den-Thränen umtrieben, erreichten sie den Park; die warmen Töne der Nachtigal zogen ihnen daraus ent¬ gegen; die abgewehten Töne des musikalischen Ge¬ folges, womit der Engländer jetzt über die Berge
men: o wie himmliſch wurde der Abend und die Erde: — Am großen Abendhimmel uͤber ihnen be¬ wegten ſich Tulpenbeete von rothem Gewoͤlke, zwi¬ ſchen denen blaue Streifen wie dunkle Baͤche liefen. — Hinter ihnen ſtanden unter der Sonne Berge, wie Veſuve, in Flammen, und die Waldung, wie ein feuriger Buſch und das uͤber die Blumen laufende Steppenfeuer ergrif die Wolkenſchatten. — Und alle Lerchen hingen mit ihren Ripienſtimmen der Natur nahe am rothen Deckenſtuͤcke des Abends und jeder tiefere Sonnenſtrahl hielt eine ſummende Weſenkette von Muͤcken. — Und in der Schaͤferei am Berge liefen rufend hundert Muͤtter an hundert Kinder zu¬ ſammen und das ſtille Schaf eilte laͤrmend an ſein durſtiges niederknieendes Lamm — —
Großer Abend! nur im Thal Tempe bluͤheſt du noch und verwelkeſt nicht; aber in wenig Minuten, Leſer, brechen erſt alle ſeine Bluͤten praͤchtig auf! —
Klotilde und Viktor gingen enger und waͤrmer aneinander gedruͤckt unter dem ſchmalen Sonnen¬ ſchirm, der beide gegen den fluͤchtigen Regen ein¬ bauete. — Und mit Herzen, die immer ſtaͤrker ſchlu¬ gen und ſtatt des Blutes gleichſam andaͤchtige Freu¬ den-Thraͤnen umtrieben, erreichten ſie den Park; die warmen Toͤne der Nachtigal zogen ihnen daraus ent¬ gegen; die abgewehten Toͤne des muſikaliſchen Ge¬ folges, womit der Englaͤnder jetzt uͤber die Berge
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men: o wie himmliſch wurde der Abend und die
Erde: — Am großen Abendhimmel uͤber ihnen be¬
wegten ſich Tulpenbeete von rothem Gewoͤlke, zwi¬
ſchen denen blaue Streifen wie dunkle Baͤche liefen.
— Hinter ihnen ſtanden unter der Sonne Berge,
wie Veſuve, in Flammen, und die Waldung, wie ein
feuriger Buſch und das uͤber die Blumen laufende
Steppenfeuer ergrif die Wolkenſchatten. — Und alle
Lerchen hingen mit ihren Ripienſtimmen der Natur
nahe am rothen Deckenſtuͤcke des Abends und jeder
tiefere Sonnenſtrahl hielt eine ſummende Weſenkette
von Muͤcken. — Und in der Schaͤferei am Berge
liefen rufend hundert Muͤtter an hundert Kinder zu¬
ſammen und das ſtille Schaf eilte laͤrmend an ſein
durſtiges niederknieendes Lamm — —
Großer Abend! nur im Thal Tempe bluͤheſt du
noch und verwelkeſt nicht; aber in wenig Minuten,
Leſer, brechen erſt alle ſeine Bluͤten praͤchtig auf! —
Klotilde und Viktor gingen enger und waͤrmer
aneinander gedruͤckt unter dem ſchmalen Sonnen¬
ſchirm, der beide gegen den fluͤchtigen Regen ein¬
bauete. — Und mit Herzen, die immer ſtaͤrker ſchlu¬
gen und ſtatt des Blutes gleichſam andaͤchtige Freu¬
den-Thraͤnen umtrieben, erreichten ſie den Park; die
warmen Toͤne der Nachtigal zogen ihnen daraus ent¬
gegen; die abgewehten Toͤne des muſikaliſchen Ge¬
folges, womit der Englaͤnder jetzt uͤber die Berge
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/175>, abgerufen am 26.11.2024.
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