Ich habe erst drei Kaffeetassen Burgunder zu mir genommen, weil ich zur Karnation und Röthelzeich¬ nung des Nachmittags vielleicht nicht mehr brauche -- aber o Himmel, die Nacht! -- Meine Schuld ist's nicht, wenn es der Nachwelt nicht zu Ohren kömmt, daß die meisten Nachmittags der Hitze we¬ gen aus dem Garten blieben. Aber sie sehen aus den Zimmern die Wiese, den Zimmerplatz eines schö¬ nen Abends, wo die Kinder schon im voraus herum¬ liefen, das Gras hinaustrugen, und mit Virtuosen auf Bierhebern das Trommetenfest eröfneten. Es würde zu geringfügig seyn, wenn ich's anmerken wollte, daß mehrere Jungen durch geschossene rothe Kappen oder Kronen todt hingestreckt wurden, weil sie Hasen vorstellten, der Mützen-Schütze Jäger, und die Restanten Windhunde; man kann's aber me¬ taphorisch nehmen und dann wird's satirisch und er¬ heblich genug.
Die Freude zarter Menschen ist verschämt, sie zeigen lieber ihre Wunden als ihre Entzückungen, weil sie beide nicht zu verdienen glauben oder sie zei¬ gen beide hinter dem Schleier einer Thräne. Vik¬ tor war so und sah in jeder Freude seufzend nach Westen, ich weiß nicht ob er an den Untergang der Sterne und der Menschen dachte oder an die Schwarzen, deren Ketten bis in unsere Halbkugel heraufklirren, oder an nähere Weisse, für die man
Ich habe erſt drei Kaffeetaſſen Burgunder zu mir genommen, weil ich zur Karnation und Roͤthelzeich¬ nung des Nachmittags vielleicht nicht mehr brauche — aber o Himmel, die Nacht! — Meine Schuld iſt's nicht, wenn es der Nachwelt nicht zu Ohren koͤmmt, daß die meiſten Nachmittags der Hitze we¬ gen aus dem Garten blieben. Aber ſie ſehen aus den Zimmern die Wieſe, den Zimmerplatz eines ſchoͤ¬ nen Abends, wo die Kinder ſchon im voraus herum¬ liefen, das Gras hinaustrugen, und mit Virtuoſen auf Bierhebern das Trommetenfeſt eroͤfneten. Es wuͤrde zu geringfuͤgig ſeyn, wenn ich's anmerken wollte, daß mehrere Jungen durch geſchoſſene rothe Kappen oder Kronen todt hingeſtreckt wurden, weil ſie Haſen vorſtellten, der Muͤtzen-Schuͤtze Jaͤger, und die Reſtanten Windhunde; man kann's aber me¬ taphoriſch nehmen und dann wird's ſatiriſch und er¬ heblich genug.
Die Freude zarter Menſchen iſt verſchaͤmt, ſie zeigen lieber ihre Wunden als ihre Entzuͤckungen, weil ſie beide nicht zu verdienen glauben oder ſie zei¬ gen beide hinter dem Schleier einer Thraͤne. Vik¬ tor war ſo und ſah in jeder Freude ſeufzend nach Weſten, ich weiß nicht ob er an den Untergang der Sterne und der Menſchen dachte oder an die Schwarzen, deren Ketten bis in unſere Halbkugel heraufklirren, oder an naͤhere Weiſſe, fuͤr die man
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Ich habe erſt drei Kaffeetaſſen Burgunder zu mir
genommen, weil ich zur Karnation und Roͤthelzeich¬
nung des Nachmittags vielleicht nicht mehr brauche
— aber o Himmel, die Nacht! — Meine Schuld
iſt's nicht, wenn es der Nachwelt nicht zu Ohren
koͤmmt, daß die meiſten Nachmittags der Hitze we¬
gen aus dem Garten blieben. Aber ſie ſehen aus
den Zimmern die Wieſe, den Zimmerplatz eines ſchoͤ¬
nen Abends, wo die Kinder ſchon im voraus herum¬
liefen, das Gras hinaustrugen, und mit Virtuoſen
auf Bierhebern das Trommetenfeſt eroͤfneten. Es
wuͤrde zu geringfuͤgig ſeyn, wenn ich's anmerken
wollte, daß mehrere Jungen durch geſchoſſene rothe
Kappen oder Kronen todt hingeſtreckt wurden, weil
ſie Haſen vorſtellten, der Muͤtzen-Schuͤtze Jaͤger,
und die Reſtanten Windhunde; man kann's aber me¬
taphoriſch nehmen und dann wird's ſatiriſch und er¬
heblich genug.
Die Freude zarter Menſchen iſt verſchaͤmt, ſie
zeigen lieber ihre Wunden als ihre Entzuͤckungen,
weil ſie beide nicht zu verdienen glauben oder ſie zei¬
gen beide hinter dem Schleier einer Thraͤne. Vik¬
tor war ſo und ſah in jeder Freude ſeufzend nach
Weſten, ich weiß nicht ob er an den Untergang
der Sterne und der Menſchen dachte oder an die
Schwarzen, deren Ketten bis in unſere Halbkugel
heraufklirren, oder an naͤhere Weiſſe, fuͤr die man
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/185>, abgerufen am 25.11.2024.
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