die zersprengten wieder löthet mit Blut -- -- Aber dieses Schauen nach seiner Keblah zwang ihn seine Entzückung zu verdienen. Die gestrige und heu¬ tige war so groß, daß er gerührt zum Genius der Erde sagte: "so groß kann meine schwache Tugend "nicht werden." -- Es half ihm nichts, daß er sich selber vor seinem Gewissen herauszustreichen suchte und diesem vorstellte, wie viel schöne Minuten und frohe Pulsschläge er hier in diesem Seifersdor¬ fer Thal austheile an seine Freunde, und an seine Freundin, die durch ihn genese, und an die Kinder, die er jetzt schon springen sehe und Abends noch mehr -- es fruchtete beim Gewissen etwas, aber doch nicht genug, als er es fragte, ob er denn vor der Sphärenmusik dieser Tage die Ohren zuhalten sollte; ob er nicht seine Leidenschaften überwunden habe und ob nicht der größere Spielraum und die größere Thätigkeit eines Menschen bloß in der grö¬ ßern Zahl besiegter Leidenschaften bestehe, so daß also eine Hofdame, ja sogar ein König keinen kleinern Wirkungskreis innen habe als der nützlichste Bürger; und ob nicht der Mensch wie sehr kleine Kin¬ der bloß in die Erdenschule gesendet worden, um stille seyn zu lernen -- aber der evcharistische Re¬ ligionskrieg des alten und neuen Adams hörte bloß durch eine Entzückung auf, nämlich durch die Ent¬ schließung, sobald ihn sein Vater die Hand- und
Bein¬
die zerſprengten wieder loͤthet mit Blut — — Aber dieſes Schauen nach ſeiner Keblah zwang ihn ſeine Entzuͤckung zu verdienen. Die geſtrige und heu¬ tige war ſo groß, daß er geruͤhrt zum Genius der Erde ſagte: »ſo groß kann meine ſchwache Tugend »nicht werden.« — Es half ihm nichts, daß er ſich ſelber vor ſeinem Gewiſſen herauszuſtreichen ſuchte und dieſem vorſtellte, wie viel ſchoͤne Minuten und frohe Pulsſchlaͤge er hier in dieſem Seifersdor¬ fer Thal austheile an ſeine Freunde, und an ſeine Freundin, die durch ihn geneſe, und an die Kinder, die er jetzt ſchon ſpringen ſehe und Abends noch mehr — es fruchtete beim Gewiſſen etwas, aber doch nicht genug, als er es fragte, ob er denn vor der Sphaͤrenmuſik dieſer Tage die Ohren zuhalten ſollte; ob er nicht ſeine Leidenſchaften uͤberwunden habe und ob nicht der groͤßere Spielraum und die groͤßere Thaͤtigkeit eines Menſchen bloß in der groͤ¬ ßern Zahl beſiegter Leidenſchaften beſtehe, ſo daß alſo eine Hofdame, ja ſogar ein Koͤnig keinen kleinern Wirkungskreis innen habe als der nuͤtzlichſte Buͤrger; und ob nicht der Menſch wie ſehr kleine Kin¬ der bloß in die Erdenſchule geſendet worden, um ſtille ſeyn zu lernen — aber der evchariſtiſche Re¬ ligionskrieg des alten und neuen Adams hoͤrte bloß durch eine Entzuͤckung auf, naͤmlich durch die Ent¬ ſchließung, ſobald ihn ſein Vater die Hand- und
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die zerſprengten wieder loͤthet mit Blut — — Aber
dieſes Schauen nach ſeiner Keblah zwang ihn ſeine
Entzuͤckung zu verdienen. Die geſtrige und heu¬
tige war ſo groß, daß er geruͤhrt zum Genius der
Erde ſagte: »ſo groß kann meine ſchwache Tugend
»nicht werden.« — Es half ihm nichts, daß er ſich
ſelber vor ſeinem Gewiſſen herauszuſtreichen ſuchte
und dieſem vorſtellte, wie viel ſchoͤne Minuten und
frohe Pulsſchlaͤge er hier in dieſem Seifersdor¬
fer Thal austheile an ſeine Freunde, und an ſeine
Freundin, die durch ihn geneſe, und an die Kinder,
die er jetzt ſchon ſpringen ſehe und Abends noch
mehr — es fruchtete beim Gewiſſen etwas, aber
doch nicht genug, als er es fragte, ob er denn vor
der Sphaͤrenmuſik dieſer Tage die Ohren zuhalten
ſollte; ob er nicht ſeine Leidenſchaften uͤberwunden
habe und ob nicht der groͤßere Spielraum und die
groͤßere Thaͤtigkeit eines Menſchen bloß in der groͤ¬
ßern Zahl beſiegter Leidenſchaften beſtehe, ſo daß alſo
eine Hofdame, ja ſogar ein Koͤnig keinen kleinern
Wirkungskreis innen habe als der nuͤtzlichſte Buͤrger;
und ob nicht der Menſch wie ſehr kleine Kin¬
der bloß in die Erdenſchule geſendet worden, um
ſtille ſeyn zu lernen — aber der evchariſtiſche Re¬
ligionskrieg des alten und neuen Adams hoͤrte bloß
durch eine Entzuͤckung auf, naͤmlich durch die Ent¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/186>, abgerufen am 25.11.2024.
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