Geheimniß sie längst errathen und verborgen hatte, gegen den aufhob, der sie heute durch seinen Abschied vermehrte; und als sie auch sein Angesicht in Rüh¬ ung zerschmolzen sah: so erdrückten die gleichen Trauergedanken in beiden sogar die ersten Laute des Empfangs und beide wanten ihr Gesicht ab, weil sie über die Trennung weinten. -- -- "Haben Sie (sagte Klotilde, wenigstens mit einer gefaßten Stim¬ me) eben mit Julius gesprochen?" -- Viktor ant¬ wortete nicht, aber seine Augen sagten Ja, indem sie blos heftiger strömmten und sie unverwandt an¬ schaueten. Sie schlug sie tief nieder, mit einem klei¬ nen Erröthen für Giulia. Das kleine Kind hielt die über die großen Tropfen herüberfallenden Augenlie¬ der für schläfrig und zog der Puppe das schmale mit Heu gepolsterte Kopfkissen weg, breitete es Klotilden hin und sagte unschuldig: "da leg' dich drauf und schlaf' ein!" Es schauerte ihren Freund, da sie ant¬ wortete: "Heute nicht, Liebe, auf Kissen mit Heu schlafen nur die Todten." Es schauerte ihn, da er auf ihrem bewegten Herzen eine schneeweiße Feder¬ nelke, in deren Mitte ein großer dunkelrother Punkt wie ein blutiger Tropfen ist, erzittern sah. Die fürchterliche Nelke schien ihm die Lilie zu seyn, die der Aberglaube sonst im Korstuhle des Priesters an¬ traf, dessen Sterben prophezeiet werden sollte.
Sie
Geheimniß ſie laͤngſt errathen und verborgen hatte, gegen den aufhob, der ſie heute durch ſeinen Abſchied vermehrte; und als ſie auch ſein Angeſicht in Ruͤh¬ ung zerſchmolzen ſah: ſo erdruͤckten die gleichen Trauergedanken in beiden ſogar die erſten Laute des Empfangs und beide wanten ihr Geſicht ab, weil ſie uͤber die Trennung weinten. — — »Haben Sie (ſagte Klotilde, wenigſtens mit einer gefaßten Stim¬ me) eben mit Julius geſprochen?» — Viktor ant¬ wortete nicht, aber ſeine Augen ſagten Ja, indem ſie blos heftiger ſtroͤmmten und ſie unverwandt an¬ ſchaueten. Sie ſchlug ſie tief nieder, mit einem klei¬ nen Erroͤthen fuͤr Giulia. Das kleine Kind hielt die uͤber die großen Tropfen heruͤberfallenden Augenlie¬ der fuͤr ſchlaͤfrig und zog der Puppe das ſchmale mit Heu gepolſterte Kopfkiſſen weg, breitete es Klotilden hin und ſagte unſchuldig: »da leg' dich drauf und ſchlaf' ein!» Es ſchauerte ihren Freund, da ſie ant¬ wortete: »Heute nicht, Liebe, auf Kiſſen mit Heu ſchlafen nur die Todten.» Es ſchauerte ihn, da er auf ihrem bewegten Herzen eine ſchneeweiße Feder¬ nelke, in deren Mitte ein großer dunkelrother Punkt wie ein blutiger Tropfen iſt, erzittern ſah. Die fuͤrchterliche Nelke ſchien ihm die Lilie zu ſeyn, die der Aberglaube ſonſt im Korſtuhle des Prieſters an¬ traf, deſſen Sterben prophezeiet werden ſollte.
Sie
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Geheimniß ſie laͤngſt errathen und verborgen hatte,
gegen den aufhob, der ſie heute durch ſeinen Abſchied
vermehrte; und als ſie auch ſein Angeſicht in Ruͤh¬
ung zerſchmolzen ſah: ſo erdruͤckten die gleichen
Trauergedanken in beiden ſogar die erſten Laute des
Empfangs und beide wanten ihr Geſicht ab, weil ſie
uͤber die Trennung weinten. — — »Haben Sie
(ſagte Klotilde, wenigſtens mit einer gefaßten Stim¬
me) eben mit Julius geſprochen?» — Viktor ant¬
wortete nicht, aber ſeine Augen ſagten Ja, indem
ſie blos heftiger ſtroͤmmten und ſie unverwandt an¬
ſchaueten. Sie ſchlug ſie tief nieder, mit einem klei¬
nen Erroͤthen fuͤr Giulia. Das kleine Kind hielt die
uͤber die großen Tropfen heruͤberfallenden Augenlie¬
der fuͤr ſchlaͤfrig und zog der Puppe das ſchmale mit
Heu gepolſterte Kopfkiſſen weg, breitete es Klotilden
hin und ſagte unſchuldig: »da leg' dich drauf und
ſchlaf' ein!» Es ſchauerte ihren Freund, da ſie ant¬
wortete: »Heute nicht, Liebe, auf Kiſſen mit Heu
ſchlafen nur die Todten.» Es ſchauerte ihn, da er
auf ihrem bewegten Herzen eine ſchneeweiße Feder¬
nelke, in deren Mitte ein großer dunkelrother Punkt
wie ein blutiger Tropfen iſt, erzittern ſah. Die
fuͤrchterliche Nelke ſchien ihm die Lilie zu ſeyn, die
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/218>, abgerufen am 27.11.2024.
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