Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Stimme der edeln Sängerin unterlag der
Wehmuth, aber sie sang doch die letzte der Strophen die¬
ses Sphären-Liedes, obwohl leiser in der schmerz¬
haften Ueberwältigung:

Das arme Herz hienieden
Von manchem Sturm bewegt,
Erlangt den wahren Frieden
Nur wo es nicht mehr schlägt.

Ihre Stimme brach, wie ein Auge bricht oder ein
Herz. . . . Ihr Freund hüllte sein Haupt in die
Blätter der Laube -- das ganze Erdenleben zog wie
eine Klage vorüber. -- Klotildens schwere Vergan¬
genheit, Klotildens düstere Zukunft rückten zusam¬
men vor seinem Auge und warfen im dunkeln den
Leichenschleier über diesen Engel und zogen sie ver¬
hüllet in das Grab zur Schwester. . . . Er hatte
sogar den Abschied vergessen . . . er hatte nicht den
Muth, die große Szene um sich anzuschauen und die
Gebeugte neben sich . . .

Er hörte die Kleine gehen und sagen: ich hole
dir ein größeres Kissen unter den Kopf.

Klotilde stand auf und faßte seine Hand -- er
kehrte sich wieder um in die Erde -- und sie schaue¬
te ihn an mit einem verweinten aber zärtlichen Auge,
dessen Tropfen zu rein waren für diese schmutzige

O2

Die Stimme der edeln Saͤngerin unterlag der
Wehmuth, aber ſie ſang doch die letzte der Strophen die¬
ſes Sphaͤren-Liedes, obwohl leiſer in der ſchmerz¬
haften Ueberwaͤltigung:

Das arme Herz hienieden
Von manchem Sturm bewegt,
Erlangt den wahren Frieden
Nur wo es nicht mehr ſchlaͤgt.

Ihre Stimme brach, wie ein Auge bricht oder ein
Herz. . . . Ihr Freund huͤllte ſein Haupt in die
Blaͤtter der Laube — das ganze Erdenleben zog wie
eine Klage voruͤber. — Klotildens ſchwere Vergan¬
genheit, Klotildens duͤſtere Zukunft ruͤckten zuſam¬
men vor ſeinem Auge und warfen im dunkeln den
Leichenſchleier uͤber dieſen Engel und zogen ſie ver¬
huͤllet in das Grab zur Schweſter. . . . Er hatte
ſogar den Abſchied vergeſſen . . . er hatte nicht den
Muth, die große Szene um ſich anzuſchauen und die
Gebeugte neben ſich . . .

Er hoͤrte die Kleine gehen und ſagen: ich hole
dir ein groͤßeres Kiſſen unter den Kopf.

Klotilde ſtand auf und faßte ſeine Hand — er
kehrte ſich wieder um in die Erde — und ſie ſchaue¬
te ihn an mit einem verweinten aber zaͤrtlichen Auge,
deſſen Tropfen zu rein waren fuͤr dieſe ſchmutzige

O2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0221" n="211"/>
          <p>Die Stimme der edeln Sa&#x0364;ngerin unterlag der<lb/>
Wehmuth, aber &#x017F;ie &#x017F;ang doch die letzte der Strophen die¬<lb/>
&#x017F;es Spha&#x0364;ren-Liedes, obwohl lei&#x017F;er in der &#x017F;chmerz¬<lb/>
haften Ueberwa&#x0364;ltigung:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l rendition="#et">Das arme Herz hienieden</l><lb/>
            <l>Von manchem Sturm bewegt,</l><lb/>
            <l>Erlangt den wahren Frieden</l><lb/>
            <l>Nur wo es nicht mehr &#x017F;chla&#x0364;gt.</l><lb/>
          </lg>
          <p>Ihre Stimme brach, wie ein Auge bricht oder ein<lb/>
Herz. . . . Ihr Freund hu&#x0364;llte &#x017F;ein Haupt in die<lb/>
Bla&#x0364;tter der Laube &#x2014; das ganze Erdenleben zog wie<lb/>
eine Klage voru&#x0364;ber. &#x2014; Klotildens &#x017F;chwere Vergan¬<lb/>
genheit, Klotildens du&#x0364;&#x017F;tere Zukunft ru&#x0364;ckten zu&#x017F;am¬<lb/>
men vor &#x017F;einem Auge und warfen im dunkeln den<lb/>
Leichen&#x017F;chleier u&#x0364;ber die&#x017F;en Engel und zogen &#x017F;ie ver¬<lb/>
hu&#x0364;llet in das Grab zur Schwe&#x017F;ter. . . . Er hatte<lb/>
&#x017F;ogar den Ab&#x017F;chied verge&#x017F;&#x017F;en . . . er hatte nicht den<lb/>
Muth, die große Szene um &#x017F;ich anzu&#x017F;chauen und die<lb/>
Gebeugte neben &#x017F;ich . . .</p><lb/>
          <p>Er ho&#x0364;rte die Kleine gehen und &#x017F;agen: ich hole<lb/>
dir ein gro&#x0364;ßeres Ki&#x017F;&#x017F;en unter den Kopf.</p><lb/>
          <p>Klotilde &#x017F;tand auf und faßte &#x017F;eine Hand &#x2014; er<lb/>
kehrte &#x017F;ich wieder um in die Erde &#x2014; und &#x017F;ie &#x017F;chaue¬<lb/>
te ihn an mit einem verweinten aber za&#x0364;rtlichen Auge,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Tropfen zu rein waren fu&#x0364;r die&#x017F;e &#x017F;chmutzige<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0221] Die Stimme der edeln Saͤngerin unterlag der Wehmuth, aber ſie ſang doch die letzte der Strophen die¬ ſes Sphaͤren-Liedes, obwohl leiſer in der ſchmerz¬ haften Ueberwaͤltigung: Das arme Herz hienieden Von manchem Sturm bewegt, Erlangt den wahren Frieden Nur wo es nicht mehr ſchlaͤgt. Ihre Stimme brach, wie ein Auge bricht oder ein Herz. . . . Ihr Freund huͤllte ſein Haupt in die Blaͤtter der Laube — das ganze Erdenleben zog wie eine Klage voruͤber. — Klotildens ſchwere Vergan¬ genheit, Klotildens duͤſtere Zukunft ruͤckten zuſam¬ men vor ſeinem Auge und warfen im dunkeln den Leichenſchleier uͤber dieſen Engel und zogen ſie ver¬ huͤllet in das Grab zur Schweſter. . . . Er hatte ſogar den Abſchied vergeſſen . . . er hatte nicht den Muth, die große Szene um ſich anzuſchauen und die Gebeugte neben ſich . . . Er hoͤrte die Kleine gehen und ſagen: ich hole dir ein groͤßeres Kiſſen unter den Kopf. Klotilde ſtand auf und faßte ſeine Hand — er kehrte ſich wieder um in die Erde — und ſie ſchaue¬ te ihn an mit einem verweinten aber zaͤrtlichen Auge, deſſen Tropfen zu rein waren fuͤr dieſe ſchmutzige O2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/221
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/221>, abgerufen am 17.05.2024.