d. h. das Denken und Empfinden stocken. Daher erquickt der Schlummer reitende und fahrende Men¬ schen, die also mit nichts als den Nerven ruhen. Daher werden Nervenschwache, die jede Ruhe abmat¬ tet, vom traumlosen Schlaf erfrischt. Beiläufig ohne die Theorie der Desorganisation, die negative und positive Nerven-Elektrizität annimmt, sind die Me¬ teore des Schlafes unerklärlich -- z. B. unerklärlich ist dann, warum gerade Opium, Wein, Manipuliren, Thierheit, Kindheit, Plethora, nahrhafte Kost, Ge¬ rüche auf der einen Seite Schlaf befördern und Tortur, Ermattung, Alter, Mäßigkeit, Gehirndruck, Winter, Blutverlust, Furcht, Gram, Phlegma, Fett, geistige Abspannung ihn auf der andern auch erre¬ gen. -- -- Höchstens im tiefen Schlafe, wo der Nervenkörper ruht, könnte man die Seele vom Irr¬ dischen loßgekettet denken; im Traum hingegen eher enger angeschlossen, weil der Traum so gut wie das tiefe Denken, das wie er die fünf Sinnenpforten ab¬ schließt, ja kein Schlafen ist. Daher zehren Träume die Nerven so sehr aus, zu deren innern Ueberspan¬ nungen jene noch äussere Eindrücke gesellen. Daher verleiht der Morgen dem Gehirn und dem Traum gleiche Belebung. Daher geht dem schlafenden Thiere -- ausgenommen den weichlichen zahmen Hund -- das ungesunde Träumen ab. Daher giebt schon Aristoteles ungewöhnliche Träume für Vorläu¬
d. h. das Denken und Empfinden ſtocken. Daher erquickt der Schlummer reitende und fahrende Men¬ ſchen, die alſo mit nichts als den Nerven ruhen. Daher werden Nervenſchwache, die jede Ruhe abmat¬ tet, vom traumloſen Schlaf erfriſcht. Beilaͤufig ohne die Theorie der Desorganiſation, die negative und poſitive Nerven-Elektrizitaͤt annimmt, ſind die Me¬ teore des Schlafes unerklaͤrlich — z. B. unerklaͤrlich iſt dann, warum gerade Opium, Wein, Manipuliren, Thierheit, Kindheit, Plethora, nahrhafte Koſt, Ge¬ ruͤche auf der einen Seite Schlaf befoͤrdern und Tortur, Ermattung, Alter, Maͤßigkeit, Gehirndruck, Winter, Blutverluſt, Furcht, Gram, Phlegma, Fett, geiſtige Abſpannung ihn auf der andern auch erre¬ gen. — — Hoͤchſtens im tiefen Schlafe, wo der Nervenkoͤrper ruht, koͤnnte man die Seele vom Irr¬ diſchen loßgekettet denken; im Traum hingegen eher enger angeſchloſſen, weil der Traum ſo gut wie das tiefe Denken, das wie er die fuͤnf Sinnenpforten ab¬ ſchließt, ja kein Schlafen iſt. Daher zehren Traͤume die Nerven ſo ſehr aus, zu deren innern Ueberſpan¬ nungen jene noch aͤuſſere Eindruͤcke geſellen. Daher verleiht der Morgen dem Gehirn und dem Traum gleiche Belebung. Daher geht dem ſchlafenden Thiere — ausgenommen den weichlichen zahmen Hund — das ungeſunde Traͤumen ab. Daher giebt ſchon Ariſtoteles ungewoͤhnliche Traͤume fuͤr Vorlaͤu¬
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d. h. das Denken und Empfinden ſtocken. Daher
erquickt der Schlummer reitende und fahrende Men¬
ſchen, die alſo mit nichts als den Nerven ruhen.
Daher werden Nervenſchwache, die jede Ruhe abmat¬
tet, vom traumloſen Schlaf erfriſcht. Beilaͤufig ohne
die Theorie der Desorganiſation, die negative und
poſitive Nerven-Elektrizitaͤt annimmt, ſind die Me¬
teore des Schlafes unerklaͤrlich — z. B. unerklaͤrlich
iſt dann, warum gerade Opium, Wein, Manipuliren,
Thierheit, Kindheit, Plethora, nahrhafte Koſt, Ge¬
ruͤche auf der einen Seite Schlaf befoͤrdern und
Tortur, Ermattung, Alter, Maͤßigkeit, Gehirndruck,
Winter, Blutverluſt, Furcht, Gram, Phlegma, Fett,
geiſtige Abſpannung ihn auf der andern auch erre¬
gen. — — Hoͤchſtens im tiefen Schlafe, wo der
Nervenkoͤrper ruht, koͤnnte man die Seele vom Irr¬
diſchen loßgekettet denken; im Traum hingegen eher
enger angeſchloſſen, weil der Traum ſo gut wie das
tiefe Denken, das wie er die fuͤnf Sinnenpforten ab¬
ſchließt, ja kein Schlafen iſt. Daher zehren Traͤume
die Nerven ſo ſehr aus, zu deren innern Ueberſpan¬
nungen jene noch aͤuſſere Eindruͤcke geſellen. Daher
verleiht der Morgen dem Gehirn und dem Traum
gleiche Belebung. Daher geht dem ſchlafenden
Thiere — ausgenommen den weichlichen zahmen
Hund — das ungeſunde Traͤumen ab. Daher giebt
ſchon Ariſtoteles ungewoͤhnliche Traͤume fuͤr Vorlaͤu¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/244>, abgerufen am 23.11.2024.
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