Er bekehrte sich den 3ten April 1793 gegen Abend als der Mond -- und die Erde -- unter seinem Füßen im Nadir waren. --
Der Leser kann über diesen Chronometer gelacht haben; aber jeder Mensch, an dem die Tugend et¬ was höheres ist als ein zufälliger Wasserast und Holztrieb, muß die Stunde sagen können, worin je¬ ne die Hamadryade seines Innern wurde -- welches die Theologen Bekehrung und die Herrhuter Durch¬ bruch nennen. Wie soll die Zeit nicht unsre geisti¬ gen Empfindungen abmarken, da ja blos diese jene abstecken?
Es giebt -- oder kömmt' -- in jedem mehr so¬ larischen als planetarischen Menschen eine hohe Stunde, wo sich sein Herz unter gewaltsamen Be¬ wegungen und schmerzlichen Losreißungen, endlich durch eine Erhebung plötzlich umwendet gegen die Tugend, in jenem unbegreiflichen Uebergang, wie der ist, wenn sich der Mensch von einem Glaubens¬ system auf einmal zum andern, oder vom höchsten Punkte des Grolls schnell zu einer zerschmelzenden Vergebung aller Fehler hinüberhebt -- jene hohe Stunde, die Geburtsstunde des tugendhaften Lebens, ist auch die süsseste desselben, weil jetzt dem Men¬ schen ist als wäre ihm der drückende Körper abge¬ nommen, weil er die Wonne genießet, keine Wi¬ dersprüche in sich zu fühlen, weil alle seine Ket¬
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Er bekehrte ſich den 3ten April 1793 gegen Abend als der Mond — und die Erde — unter ſeinem Fuͤßen im Nadir waren. —
Der Leſer kann uͤber dieſen Chronometer gelacht haben; aber jeder Menſch, an dem die Tugend et¬ was hoͤheres iſt als ein zufaͤlliger Waſſeraſt und Holztrieb, muß die Stunde ſagen koͤnnen, worin je¬ ne die Hamadryade ſeines Innern wurde — welches die Theologen Bekehrung und die Herrhuter Durch¬ bruch nennen. Wie ſoll die Zeit nicht unſre geiſti¬ gen Empfindungen abmarken, da ja blos dieſe jene abſtecken?
Es giebt — oder koͤmmt' — in jedem mehr ſo¬ lariſchen als planetariſchen Menſchen eine hohe Stunde, wo ſich ſein Herz unter gewaltſamen Be¬ wegungen und ſchmerzlichen Losreißungen, endlich durch eine Erhebung ploͤtzlich umwendet gegen die Tugend, in jenem unbegreiflichen Uebergang, wie der iſt, wenn ſich der Menſch von einem Glaubens¬ ſyſtem auf einmal zum andern, oder vom hoͤchſten Punkte des Grolls ſchnell zu einer zerſchmelzenden Vergebung aller Fehler hinuͤberhebt — jene hohe Stunde, die Geburtsſtunde des tugendhaften Lebens, iſt auch die ſuͤſſeſte deſſelben, weil jetzt dem Men¬ ſchen iſt als waͤre ihm der druͤckende Koͤrper abge¬ nommen, weil er die Wonne genießet, keine Wi¬ derſpruͤche in ſich zu fuͤhlen, weil alle ſeine Ket¬
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Er bekehrte ſich den 3ten April 1793 gegen Abend
als der Mond — und die Erde — unter ſeinem
Fuͤßen im Nadir waren. —
Der Leſer kann uͤber dieſen Chronometer gelacht
haben; aber jeder Menſch, an dem die Tugend et¬
was hoͤheres iſt als ein zufaͤlliger Waſſeraſt und
Holztrieb, muß die Stunde ſagen koͤnnen, worin je¬
ne die Hamadryade ſeines Innern wurde — welches
die Theologen Bekehrung und die Herrhuter Durch¬
bruch nennen. Wie ſoll die Zeit nicht unſre geiſti¬
gen Empfindungen abmarken, da ja blos dieſe jene
abſtecken?
Es giebt — oder koͤmmt' — in jedem mehr ſo¬
lariſchen als planetariſchen Menſchen eine hohe
Stunde, wo ſich ſein Herz unter gewaltſamen Be¬
wegungen und ſchmerzlichen Losreißungen, endlich
durch eine Erhebung ploͤtzlich umwendet gegen die
Tugend, in jenem unbegreiflichen Uebergang, wie
der iſt, wenn ſich der Menſch von einem Glaubens¬
ſyſtem auf einmal zum andern, oder vom hoͤchſten
Punkte des Grolls ſchnell zu einer zerſchmelzenden
Vergebung aller Fehler hinuͤberhebt — jene hohe
Stunde, die Geburtsſtunde des tugendhaften Lebens,
iſt auch die ſuͤſſeſte deſſelben, weil jetzt dem Men¬
ſchen iſt als waͤre ihm der druͤckende Koͤrper abge¬
nommen, weil er die Wonne genießet, keine Wi¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/26>, abgerufen am 21.11.2024.
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