Emanuel verschob durch Umwege das Ersteigen des Berges, um seinen gebrochnen Freund, dessen Augen nicht mehr trocken wurden, von einer Sonne in die andre zu heben, damit er in dieser hohen Stellung aus Lichtern herunterblickte auf diese Schat¬ tenerde und darauf den befreundeten Leichnam vor Kleinheit kaum bemerkte. "Darum (sagt' er) wird "ja diese Erde alle Tage verfinstert, wie Käfiche der "Vögel, damit wir im Dunkeln leichter die höheren "Melodieen fassen. -- Gedanken, die der Tag zu ei¬ "nem dunkeln Rauch und Nebel macht, stehen in "der Nacht als Flammen und Lichter um uns, wie "die Säule, die über dem Vesuv schwebt, am Tage "eine Wolkensäule scheint und zu Nachts eine Feuer¬ "säule ist." Viktor merkte die Absicht, zu trösten und wurde desto untröstlicher und schwieg immer.
Sie gingen nicht an der Seite des Berges zur Trauerbirke hinauf, sondern an seinem langsam auf¬ steigenden Rücken. Sie übersahen jetzt das Theater der Nacht, über welches der Mond und das Gewit¬ ter verhüllet heraufrückten. Emanuel stand still und sagte: "o blick hinauf und sieh die ewig funkelnden "Morgenauen; die um den Thron des Ewigen lie¬ "gen -- hätte aus dem Himmel nie ein Stern ge¬ "schienen, nur dann würde sich der Mensch ängstlich "in den letzten Schlaf, auf einer wie ein Leichenge¬ "wölbe überbauten dunkeln Erde ohne Oefnung le¬
Emanuel verſchob durch Umwege das Erſteigen des Berges, um ſeinen gebrochnen Freund, deſſen Augen nicht mehr trocken wurden, von einer Sonne in die andre zu heben, damit er in dieſer hohen Stellung aus Lichtern herunterblickte auf dieſe Schat¬ tenerde und darauf den befreundeten Leichnam vor Kleinheit kaum bemerkte. »Darum (ſagt' er) wird »ja dieſe Erde alle Tage verfinſtert, wie Kaͤfiche der »Voͤgel, damit wir im Dunkeln leichter die hoͤheren »Melodieen faſſen. — Gedanken, die der Tag zu ei¬ »nem dunkeln Rauch und Nebel macht, ſtehen in »der Nacht als Flammen und Lichter um uns, wie »die Saͤule, die uͤber dem Veſuv ſchwebt, am Tage »eine Wolkenſaͤule ſcheint und zu Nachts eine Feuer¬ »ſaͤule iſt.« Viktor merkte die Abſicht, zu troͤſten und wurde deſto untroͤſtlicher und ſchwieg immer.
Sie gingen nicht an der Seite des Berges zur Trauerbirke hinauf, ſondern an ſeinem langſam auf¬ ſteigenden Ruͤcken. Sie uͤberſahen jetzt das Theater der Nacht, uͤber welches der Mond und das Gewit¬ ter verhuͤllet heraufruͤckten. Emanuel ſtand ſtill und ſagte: »o blick hinauf und ſieh die ewig funkelnden »Morgenauen; die um den Thron des Ewigen lie¬ »gen — haͤtte aus dem Himmel nie ein Stern ge¬ »ſchienen, nur dann wuͤrde ſich der Menſch aͤngſtlich »in den letzten Schlaf, auf einer wie ein Leichenge¬ »woͤlbe uͤberbauten dunkeln Erde ohne Oefnung le¬
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Emanuel verſchob durch Umwege das Erſteigen
des Berges, um ſeinen gebrochnen Freund, deſſen
Augen nicht mehr trocken wurden, von einer Sonne
in die andre zu heben, damit er in dieſer hohen
Stellung aus Lichtern herunterblickte auf dieſe Schat¬
tenerde und darauf den befreundeten Leichnam vor
Kleinheit kaum bemerkte. »Darum (ſagt' er) wird
»ja dieſe Erde alle Tage verfinſtert, wie Kaͤfiche der
»Voͤgel, damit wir im Dunkeln leichter die hoͤheren
»Melodieen faſſen. — Gedanken, die der Tag zu ei¬
»nem dunkeln Rauch und Nebel macht, ſtehen in
»der Nacht als Flammen und Lichter um uns, wie
»die Saͤule, die uͤber dem Veſuv ſchwebt, am Tage
»eine Wolkenſaͤule ſcheint und zu Nachts eine Feuer¬
»ſaͤule iſt.« Viktor merkte die Abſicht, zu troͤſten
und wurde deſto untroͤſtlicher und ſchwieg immer.
Sie gingen nicht an der Seite des Berges zur
Trauerbirke hinauf, ſondern an ſeinem langſam auf¬
ſteigenden Ruͤcken. Sie uͤberſahen jetzt das Theater
der Nacht, uͤber welches der Mond und das Gewit¬
ter verhuͤllet heraufruͤckten. Emanuel ſtand ſtill und
ſagte: »o blick hinauf und ſieh die ewig funkelnden
»Morgenauen; die um den Thron des Ewigen lie¬
»gen — haͤtte aus dem Himmel nie ein Stern ge¬
»ſchienen, nur dann wuͤrde ſich der Menſch aͤngſtlich
»in den letzten Schlaf, auf einer wie ein Leichenge¬
»woͤlbe uͤberbauten dunkeln Erde ohne Oefnung le¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/279>, abgerufen am 23.11.2024.
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