mal dem mittäglichen: denn der Schlummer legt zwar seine Sommernacht über unsere Gegenwart wie über eine Zukunft, er zieht zwei Augenlieder gleichsam wie den ersten Verband über die Wunden des Menschen und deckt mit einem kleinen Traume ein Schlachtfeld zu; aber wenn er wieder weg geht mit seinem Mantel, so fallen die hungrigen Schmerzen desto heißer auf den nackten Menschen los, unter Stichen fährt er aus dem ruhigern Trau¬ me empor, und die Vernunft muß die ausgesetzte Kur den vergeßnen Trost von vorn anfangen. -- Und doch -- du gutes Schicksal! -- zeigtest du un¬ serem Viktor noch einen abendröthlichen Streif an seinem weiten Nachthimmel: es war die Hofnung, von Klotilden, die sein Herz nicht mehr die Seinige nennen durfte, vielleicht einen Brief aus London zu erhalten. . . .
Ich wollte dieses Kapitel erstlich mit der Nach¬ richt schließen, daß die Kapitel in immer weiterm Zeitraume und in kleinerm Format einlaufen -- welches das Ende der Historie bezeichnet, -- und nachher mit der Bitte es nicht übel zu nehmen, daß die Leute darin immer romantischer agieren und spekulieren: das Unglück macht romantisch, nicht der Biograph.
Aber ich schließe gar nicht -- eben der letztern Bitte wegen --, sondern frische lieber im Kopf des
Lesers
mal dem mittaͤglichen: denn der Schlummer legt zwar ſeine Sommernacht uͤber unſere Gegenwart wie uͤber eine Zukunft, er zieht zwei Augenlieder gleichſam wie den erſten Verband uͤber die Wunden des Menſchen und deckt mit einem kleinen Traume ein Schlachtfeld zu; aber wenn er wieder weg geht mit ſeinem Mantel, ſo fallen die hungrigen Schmerzen deſto heißer auf den nackten Menſchen los, unter Stichen faͤhrt er aus dem ruhigern Trau¬ me empor, und die Vernunft muß die ausgeſetzte Kur den vergeßnen Troſt von vorn anfangen. — Und doch — du gutes Schickſal! — zeigteſt du un¬ ſerem Viktor noch einen abendroͤthlichen Streif an ſeinem weiten Nachthimmel: es war die Hofnung, von Klotilden, die ſein Herz nicht mehr die Seinige nennen durfte, vielleicht einen Brief aus London zu erhalten. . . .
Ich wollte dieſes Kapitel erſtlich mit der Nach¬ richt ſchließen, daß die Kapitel in immer weiterm Zeitraume und in kleinerm Format einlaufen — welches das Ende der Hiſtorie bezeichnet, — und nachher mit der Bitte es nicht uͤbel zu nehmen, daß die Leute darin immer romantiſcher agieren und ſpekulieren: das Ungluͤck macht romantiſch, nicht der Biograph.
Aber ich ſchließe gar nicht — eben der letztern Bitte wegen —, ſondern friſche lieber im Kopf des
Leſers
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mal dem mittaͤglichen: denn der Schlummer legt
zwar ſeine Sommernacht uͤber unſere Gegenwart
wie uͤber eine Zukunft, er zieht zwei Augenlieder
gleichſam wie den erſten Verband uͤber die Wunden
des Menſchen und deckt mit einem kleinen Traume
ein Schlachtfeld zu; aber wenn er wieder weg geht
mit ſeinem Mantel, ſo fallen die hungrigen
Schmerzen deſto heißer auf den nackten Menſchen
los, unter Stichen faͤhrt er aus dem ruhigern Trau¬
me empor, und die Vernunft muß die ausgeſetzte
Kur den vergeßnen Troſt von vorn anfangen. —
Und doch — du gutes Schickſal! — zeigteſt du un¬
ſerem Viktor noch einen abendroͤthlichen Streif an
ſeinem weiten Nachthimmel: es war die Hofnung,
von Klotilden, die ſein Herz nicht mehr die Seinige
nennen durfte, vielleicht einen Brief aus London zu
erhalten. . . .
Ich wollte dieſes Kapitel erſtlich mit der Nach¬
richt ſchließen, daß die Kapitel in immer weiterm
Zeitraume und in kleinerm Format einlaufen —
welches das Ende der Hiſtorie bezeichnet, — und
nachher mit der Bitte es nicht uͤbel zu nehmen, daß
die Leute darin immer romantiſcher agieren und
ſpekulieren: das Ungluͤck macht romantiſch, nicht der
Biograph.
Aber ich ſchließe gar nicht — eben der letztern
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/346>, abgerufen am 23.11.2024.
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