Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Gefangne sein neues Amt mit so vielen menschen¬
freundlichen Hofnungen angetreten hatte -- zog je¬
nes Gerücht wie eine Pestwolke aus den Sessions¬
zimmern heraus. Viktor flüchtete eilig und un¬
gläubig und doch zitternd zum Apotheker, um ihm
die Widerlegung abzufragen. Dieser schlug vor ihm
-- eben weil er den Hofmedikus verachtete und be¬
schämen wollte -- aufrichtig alle Kurial-Rapport¬
zettel und Cercle- oder Kreisrelazionen aus einander
und las ihm daraus so viel vor: es sei nicht an¬
ders. Viktor hörte, was er schon voraussetzte, daß
jetzt der Fürst den Laufzaum oder das Stangengebiß
seiner eignen Frau umhabe, und daß sie ihm durch
Klotildens Entfernung näher komme und mit dem
Ohr- und Ringfinger den in den Nasenring
eingefädelten Zügel bewege, als wäre sie in der
That nichts geringeres als seine -- Maitresse, wel¬
ches ein neues trauriges Beispiel ist, wie leicht in
den jetzigen Zeiten eine feine Ehefrau sich die
Rechte einer Kebsfrau erschleiche. Zeusel fand es
natürlich, "daß sie, als die Freundin des Ministers,
"der so wie sein Sohn Matthieu der Freund des
"Kammerherrn gewesen, den Tod des letztern an
"Flamin zu rächen suche, und daß der Minister, um
"seine Hand besser in die Griffe der Parzenscheere
"zu bringen und dem Regierungsrath den Lebensfa¬
"den entzwei zu schneiden, selber die fortdauernde

Gefangne ſein neues Amt mit ſo vielen menſchen¬
freundlichen Hofnungen angetreten hatte — zog je¬
nes Geruͤcht wie eine Peſtwolke aus den Seſſions¬
zimmern heraus. Viktor fluͤchtete eilig und un¬
glaͤubig und doch zitternd zum Apotheker, um ihm
die Widerlegung abzufragen. Dieſer ſchlug vor ihm
— eben weil er den Hofmedikus verachtete und be¬
ſchaͤmen wollte — aufrichtig alle Kurial-Rapport¬
zettel und Cercle- oder Kreisrelazionen aus einander
und las ihm daraus ſo viel vor: es ſei nicht an¬
ders. Viktor hoͤrte, was er ſchon vorausſetzte, daß
jetzt der Fuͤrſt den Laufzaum oder das Stangengebiß
ſeiner eignen Frau umhabe, und daß ſie ihm durch
Klotildens Entfernung naͤher komme und mit dem
Ohr- und Ringfinger den in den Naſenring
eingefaͤdelten Zuͤgel bewege, als waͤre ſie in der
That nichts geringeres als ſeine — Maitreſſe, wel¬
ches ein neues trauriges Beiſpiel iſt, wie leicht in
den jetzigen Zeiten eine feine Ehefrau ſich die
Rechte einer Kebsfrau erſchleiche. Zeuſel fand es
natuͤrlich, »daß ſie, als die Freundin des Miniſters,
»der ſo wie ſein Sohn Matthieu der Freund des
»Kammerherrn geweſen, den Tod des letztern an
»Flamin zu raͤchen ſuche, und daß der Miniſter, um
»ſeine Hand beſſer in die Griffe der Parzenſcheere
»zu bringen und dem Regierungsrath den Lebensfa¬
»den entzwei zu ſchneiden, ſelber die fortdauernde

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0353" n="343"/>
Gefangne &#x017F;ein neues Amt mit &#x017F;o vielen men&#x017F;chen¬<lb/>
freundlichen Hofnungen angetreten hatte &#x2014; zog je¬<lb/>
nes Geru&#x0364;cht wie eine Pe&#x017F;twolke aus den Se&#x017F;&#x017F;ions¬<lb/>
zimmern heraus. Viktor flu&#x0364;chtete eilig und un¬<lb/>
gla&#x0364;ubig und doch zitternd zum Apotheker, um ihm<lb/>
die Widerlegung abzufragen. Die&#x017F;er &#x017F;chlug vor ihm<lb/>
&#x2014; eben weil er den Hofmedikus verachtete und be¬<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;men wollte &#x2014; aufrichtig alle Kurial-Rapport¬<lb/>
zettel und Cercle- oder Kreisrelazionen aus einander<lb/>
und las ihm daraus &#x017F;o viel vor: es &#x017F;ei nicht an¬<lb/>
ders. Viktor ho&#x0364;rte, was er &#x017F;chon voraus&#x017F;etzte, daß<lb/>
jetzt der Fu&#x0364;r&#x017F;t den Laufzaum oder das Stangengebiß<lb/>
&#x017F;einer eignen Frau umhabe, und daß &#x017F;ie ihm durch<lb/>
Klotildens Entfernung na&#x0364;her komme und mit dem<lb/><hi rendition="#g">Ohr</hi>- und <hi rendition="#g">Ring</hi>finger den in den <hi rendition="#g">Na&#x017F;en</hi>ring<lb/>
eingefa&#x0364;delten Zu&#x0364;gel bewege, als wa&#x0364;re &#x017F;ie in der<lb/>
That nichts geringeres als &#x017F;eine &#x2014; Maitre&#x017F;&#x017F;e, wel¬<lb/>
ches ein neues trauriges Bei&#x017F;piel i&#x017F;t, wie leicht in<lb/>
den jetzigen Zeiten eine feine Ehefrau &#x017F;ich die<lb/>
Rechte einer Kebsfrau er&#x017F;chleiche. Zeu&#x017F;el fand es<lb/>
natu&#x0364;rlich, »daß &#x017F;ie, als die Freundin des Mini&#x017F;ters,<lb/>
»der &#x017F;o wie &#x017F;ein Sohn Matthieu der Freund des<lb/>
»Kammerherrn gewe&#x017F;en, den Tod des letztern an<lb/>
»Flamin zu ra&#x0364;chen &#x017F;uche, und daß der Mini&#x017F;ter, um<lb/>
»&#x017F;eine Hand be&#x017F;&#x017F;er in die Griffe der Parzen&#x017F;cheere<lb/>
»zu bringen und dem Regierungsrath den Lebensfa¬<lb/>
»den entzwei zu &#x017F;chneiden, &#x017F;elber die fortdauernde<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0353] Gefangne ſein neues Amt mit ſo vielen menſchen¬ freundlichen Hofnungen angetreten hatte — zog je¬ nes Geruͤcht wie eine Peſtwolke aus den Seſſions¬ zimmern heraus. Viktor fluͤchtete eilig und un¬ glaͤubig und doch zitternd zum Apotheker, um ihm die Widerlegung abzufragen. Dieſer ſchlug vor ihm — eben weil er den Hofmedikus verachtete und be¬ ſchaͤmen wollte — aufrichtig alle Kurial-Rapport¬ zettel und Cercle- oder Kreisrelazionen aus einander und las ihm daraus ſo viel vor: es ſei nicht an¬ ders. Viktor hoͤrte, was er ſchon vorausſetzte, daß jetzt der Fuͤrſt den Laufzaum oder das Stangengebiß ſeiner eignen Frau umhabe, und daß ſie ihm durch Klotildens Entfernung naͤher komme und mit dem Ohr- und Ringfinger den in den Naſenring eingefaͤdelten Zuͤgel bewege, als waͤre ſie in der That nichts geringeres als ſeine — Maitreſſe, wel¬ ches ein neues trauriges Beiſpiel iſt, wie leicht in den jetzigen Zeiten eine feine Ehefrau ſich die Rechte einer Kebsfrau erſchleiche. Zeuſel fand es natuͤrlich, »daß ſie, als die Freundin des Miniſters, »der ſo wie ſein Sohn Matthieu der Freund des »Kammerherrn geweſen, den Tod des letztern an »Flamin zu raͤchen ſuche, und daß der Miniſter, um »ſeine Hand beſſer in die Griffe der Parzenſcheere »zu bringen und dem Regierungsrath den Lebensfa¬ »den entzwei zu ſchneiden, ſelber die fortdauernde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/353
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/353>, abgerufen am 31.10.2024.