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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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konnte, seinen ganzen schön linierten Plan ausgestri¬
chen hatten. Jetzt rief's laut in Viktors Seele:
"rette den Bruder deiner Geliebten!" -- Ja, es
war ein Mittel dazu da; -- aber der Meineid
war's -- wenn er nämlich den begieng, daß er dem
Fürsten entdeckte, wer Flamin sei: so war er erlö¬
set. Aber sein Gewissen sagte: Nein! -- "Der
"Untergang einer Tugend ist ein größeres Uebel als
"der Untergang eines Menschen -- nur Sterben,
"aber nicht Sündigen muß seyn -- ach soll es mich
"noch mehr kosten, mein Wort zu brechen, als mich
"bisher kostete, es zu halten?"

Bekanntlich war am Tage der heurigen Tag-
und Nachtgleiche, wo er die zwei Londner Blätter
empfangen hatte, ein kalter schneiender regnender
Sturm, aus dem nachher der Sommer gleichsam
zum zweitenmal aufblühte. -- Viktor grübelte wei¬
ter nach. Er zog jenen großen Tag auf der Insel
der Vereinigung noch einmal mit allen Minuten vor
sich und fand, daß er dem Lord durchaus geschwo¬
ren hatte, immer still zu schweigen, ausgenommen
eine Stunde vor seinem eignen Tode. Wir wer¬
den noch wissen, daß er sich diesen Separatartikel
damals ausbedungen, weil er einmal Flamin zuge¬
schworen hatte, sich mit ihm von der Warte zu
stürzen, wenn sie sich feindlich trennen müßten und
weil er jetzt, da ihm Klotildens Verschwisterung, be¬

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konnte, ſeinen ganzen ſchoͤn linierten Plan ausgeſtri¬
chen hatten. Jetzt rief's laut in Viktors Seele:
»rette den Bruder deiner Geliebten!« — Ja, es
war ein Mittel dazu da; — aber der Meineid
war's — wenn er naͤmlich den begieng, daß er dem
Fuͤrſten entdeckte, wer Flamin ſei: ſo war er erloͤ¬
ſet. Aber ſein Gewiſſen ſagte: Nein! — »Der
»Untergang einer Tugend iſt ein groͤßeres Uebel als
»der Untergang eines Menſchen — nur Sterben,
»aber nicht Suͤndigen muß ſeyn — ach ſoll es mich
»noch mehr koſten, mein Wort zu brechen, als mich
»bisher koſtete, es zu halten?«

Bekanntlich war am Tage der heurigen Tag-
und Nachtgleiche, wo er die zwei Londner Blaͤtter
empfangen hatte, ein kalter ſchneiender regnender
Sturm, aus dem nachher der Sommer gleichſam
zum zweitenmal aufbluͤhte. — Viktor gruͤbelte wei¬
ter nach. Er zog jenen großen Tag auf der Inſel
der Vereinigung noch einmal mit allen Minuten vor
ſich und fand, daß er dem Lord durchaus geſchwo¬
ren hatte, immer ſtill zu ſchweigen, ausgenommen
eine Stunde vor ſeinem eignen Tode. Wir wer¬
den noch wiſſen, daß er ſich dieſen Separatartikel
damals ausbedungen, weil er einmal Flamin zuge¬
ſchworen hatte, ſich mit ihm von der Warte zu
ſtuͤrzen, wenn ſie ſich feindlich trennen muͤßten und
weil er jetzt, da ihm Klotildens Verſchwiſterung, be¬

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[355/0365] konnte, ſeinen ganzen ſchoͤn linierten Plan ausgeſtri¬ chen hatten. Jetzt rief's laut in Viktors Seele: »rette den Bruder deiner Geliebten!« — Ja, es war ein Mittel dazu da; — aber der Meineid war's — wenn er naͤmlich den begieng, daß er dem Fuͤrſten entdeckte, wer Flamin ſei: ſo war er erloͤ¬ ſet. Aber ſein Gewiſſen ſagte: Nein! — »Der »Untergang einer Tugend iſt ein groͤßeres Uebel als »der Untergang eines Menſchen — nur Sterben, »aber nicht Suͤndigen muß ſeyn — ach ſoll es mich »noch mehr koſten, mein Wort zu brechen, als mich »bisher koſtete, es zu halten?« Bekanntlich war am Tage der heurigen Tag- und Nachtgleiche, wo er die zwei Londner Blaͤtter empfangen hatte, ein kalter ſchneiender regnender Sturm, aus dem nachher der Sommer gleichſam zum zweitenmal aufbluͤhte. — Viktor gruͤbelte wei¬ ter nach. Er zog jenen großen Tag auf der Inſel der Vereinigung noch einmal mit allen Minuten vor ſich und fand, daß er dem Lord durchaus geſchwo¬ ren hatte, immer ſtill zu ſchweigen, ausgenommen eine Stunde vor ſeinem eignen Tode. Wir wer¬ den noch wiſſen, daß er ſich dieſen Separatartikel damals ausbedungen, weil er einmal Flamin zuge¬ ſchworen hatte, ſich mit ihm von der Warte zu ſtuͤrzen, wenn ſie ſich feindlich trennen muͤßten und weil er jetzt, da ihm Klotildens Verſchwiſterung, be¬ Z 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/365>, abgerufen am 31.10.2024.