Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

"bloß von einem Gedanken auf den andern fallen. --
"Dann endlich werd' ich lang' verstummen und gehen und
"auf immer und nur sagen und mehr nicht: "Denk' an
"mich, Geliebte, aber sey glücklicher als bisher."
"-- -- Wo werd' ich dann gehen nach einer Stun¬
"de? Ich werde gehen auf dem öden stummen We¬
"ge zum giftigen Buhan *) Upas-Baum, zum
"einsam stehenden Tode und dort ganz allein sterben,
"ganz allein. -- -- Die Todten sind Stumme,
"sie haben Glocken und ein Stummer wird im
"Blauen schweben und die Todtenglocke läuten. ...
"O Klotilde Klotilde, dann ist unsere Liebe auf der
"Erde vorüber!"

Kennst Du, Leser, noch die Stimme, die in sei¬
nem Innern allzeit unter dem Weineu der Musik im
Tonfall der Verse erklang? Hier klingt sie wieder.
-- Aber sein Orkan des Entschlusses machte bald
sanfteren Thaten und Stunden Platz, so wie der Ae¬
quinokziumssturm sich in stille Nachsommertage auf¬
lösete. Der Gedanke: "in einigen Wochen flüchtest
"du unter die Erde" machte ihn zum Freigebor¬
nen
und zum Engel. Er verzieh jedem, sogar dem
Evangelisten. Er füllte seine kleine Sphäre mit ei¬

*) Dieser Giftbaum steht in einer kahlen Wüste, weil er alles
um sich tödtet und der Missethäter reiset einsam zu seinem
Gift, aber er kehret selten zurück.

»bloß von einem Gedanken auf den andern fallen. —
»Dann endlich werd' ich lang' verſtummen und gehen und
»auf immer und nur ſagen und mehr nicht: »Denk' an
»mich, Geliebte, aber ſey gluͤcklicher als bisher.«
»— — Wo werd' ich dann gehen nach einer Stun¬
»de? Ich werde gehen auf dem oͤden ſtummen We¬
»ge zum giftigen Buhan *) Upas-Baum, zum
»einſam ſtehenden Tode und dort ganz allein ſterben,
»ganz allein. — — Die Todten ſind Stumme,
»ſie haben Glocken und ein Stummer wird im
»Blauen ſchweben und die Todtenglocke laͤuten. ...
»O Klotilde Klotilde, dann iſt unſere Liebe auf der
»Erde voruͤber!«

Kennſt Du, Leſer, noch die Stimme, die in ſei¬
nem Innern allzeit unter dem Weineu der Muſik im
Tonfall der Verſe erklang? Hier klingt ſie wieder.
— Aber ſein Orkan des Entſchluſſes machte bald
ſanfteren Thaten und Stunden Platz, ſo wie der Ae¬
quinokziumsſturm ſich in ſtille Nachſommertage auf¬
loͤſete. Der Gedanke: »in einigen Wochen fluͤchteſt
»du unter die Erde« machte ihn zum Freigebor¬
nen
und zum Engel. Er verzieh jedem, ſogar dem
Evangeliſten. Er fuͤllte ſeine kleine Sphaͤre mit ei¬

*) Dieſer Giftbaum ſteht in einer kahlen Wüſte, weil er alles
um ſich tödtet und der Miſſethäter reiſet einſam zu ſeinem
Gift, aber er kehret ſelten zuruͤck.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0372" n="362"/>
»bloß von einem Gedanken auf den andern fallen. &#x2014;<lb/>
»Dann endlich werd' ich lang' ver&#x017F;tummen und gehen und<lb/>
»auf immer und nur &#x017F;agen und mehr nicht: »Denk' an<lb/>
»mich, Geliebte, aber &#x017F;ey glu&#x0364;cklicher als bisher.«<lb/>
»&#x2014; &#x2014; Wo werd' ich dann gehen nach einer Stun¬<lb/>
»de? Ich werde gehen auf dem o&#x0364;den &#x017F;tummen We¬<lb/>
»ge zum giftigen Buhan <note place="foot" n="*)">Die&#x017F;er Giftbaum &#x017F;teht in einer kahlen Wü&#x017F;te, weil er alles<lb/>
um &#x017F;ich tödtet und der Mi&#x017F;&#x017F;ethäter rei&#x017F;et ein&#x017F;am zu &#x017F;einem<lb/>
Gift, aber er kehret &#x017F;elten zuru&#x0364;ck.</note> Upas-Baum, zum<lb/>
»ein&#x017F;am &#x017F;tehenden Tode und dort ganz allein &#x017F;terben,<lb/>
»ganz allein. &#x2014; &#x2014; Die Todten &#x017F;ind Stumme,<lb/>
»&#x017F;ie haben Glocken und ein Stummer wird im<lb/>
»Blauen &#x017F;chweben und die Todtenglocke la&#x0364;uten. ...<lb/>
»O Klotilde Klotilde, dann i&#x017F;t un&#x017F;ere Liebe auf der<lb/>
»Erde voru&#x0364;ber!«</p><lb/>
          <p>Kenn&#x017F;t Du, Le&#x017F;er, noch die Stimme, die in &#x017F;ei¬<lb/>
nem Innern allzeit unter dem Weineu der Mu&#x017F;ik im<lb/>
Tonfall der Ver&#x017F;e erklang? Hier klingt &#x017F;ie wieder.<lb/>
&#x2014; Aber &#x017F;ein Orkan des Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es machte bald<lb/>
&#x017F;anfteren Thaten und Stunden Platz, &#x017F;o wie der Ae¬<lb/>
quinokziums&#x017F;turm &#x017F;ich in &#x017F;tille Nach&#x017F;ommertage auf¬<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;ete. Der Gedanke: »in einigen Wochen flu&#x0364;chte&#x017F;t<lb/>
»du unter die Erde« machte ihn zum <hi rendition="#g">Freigebor¬<lb/>
nen</hi> und zum Engel. Er verzieh jedem, &#x017F;ogar dem<lb/>
Evangeli&#x017F;ten. Er fu&#x0364;llte &#x017F;eine kleine Spha&#x0364;re mit ei¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0372] »bloß von einem Gedanken auf den andern fallen. — »Dann endlich werd' ich lang' verſtummen und gehen und »auf immer und nur ſagen und mehr nicht: »Denk' an »mich, Geliebte, aber ſey gluͤcklicher als bisher.« »— — Wo werd' ich dann gehen nach einer Stun¬ »de? Ich werde gehen auf dem oͤden ſtummen We¬ »ge zum giftigen Buhan *) Upas-Baum, zum »einſam ſtehenden Tode und dort ganz allein ſterben, »ganz allein. — — Die Todten ſind Stumme, »ſie haben Glocken und ein Stummer wird im »Blauen ſchweben und die Todtenglocke laͤuten. ... »O Klotilde Klotilde, dann iſt unſere Liebe auf der »Erde voruͤber!« Kennſt Du, Leſer, noch die Stimme, die in ſei¬ nem Innern allzeit unter dem Weineu der Muſik im Tonfall der Verſe erklang? Hier klingt ſie wieder. — Aber ſein Orkan des Entſchluſſes machte bald ſanfteren Thaten und Stunden Platz, ſo wie der Ae¬ quinokziumsſturm ſich in ſtille Nachſommertage auf¬ loͤſete. Der Gedanke: »in einigen Wochen fluͤchteſt »du unter die Erde« machte ihn zum Freigebor¬ nen und zum Engel. Er verzieh jedem, ſogar dem Evangeliſten. Er fuͤllte ſeine kleine Sphaͤre mit ei¬ *) Dieſer Giftbaum ſteht in einer kahlen Wüſte, weil er alles um ſich tödtet und der Miſſethäter reiſet einſam zu ſeinem Gift, aber er kehret ſelten zuruͤck.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/372
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/372>, abgerufen am 23.11.2024.