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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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min tödten wollte, sah er Klotildens welke Feder¬
nelke mit dem blutigen Tropfen liegen. . . . Und
da noch eine Lerche, die letzte Sängerin der Na¬
tur, über dem Garten zitterte und allen Frühlingen
des Lebens mit zu heissen Tönen nachrief und das
Herz mit einem unendlichen tödtlichen Sehnen durch¬
schnitt: so weinte mein Viktor laut hinauf und als
er oben auf dem Grabe die großen düstern Thränen
abgewischt hatte, stand -- Klotilde vor ihm.

Er erzitterte einmal und verstummte. . . . Sie
kannte kaum die abgebleichte Gestalt und fragte
zitternd: "Sie sinds? Sehen wir uns wieder?"
-- Seine Seele war auseinandergetrieben und er
sagte, aber in anderem Sinn: wir sehen uns wieder.
-- Sie blühte, durch die Reise genesen. Aber
Blut war in ihrem Schnupftuch -- es war das
Blut, das Emanuel unter dem Duell in der Allee
aus seinem Busen vergossen. Er starrte fragend das
Blut an -- sie wies sanft auf das Grab und ver¬
hüllte ihr weinendes Auge. -- Mit der Frage: "Ist
"Ihr H. Vater gekommen?" wollte die Gute sanft
ablenken -- aber sie lenkte ihn an sein Grab -- sein
Auge suchte wild den Raum zur letzten kühlen Grot¬
te des Lebens -- sie hatte ihren sanften Geliebten
niemals so gesehen und wollte seine Seele mildern
durch stilles Erinnern an Emanuel -- sie füllte die

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min toͤdten wollte, ſah er Klotildens welke Feder¬
nelke mit dem blutigen Tropfen liegen. . . . Und
da noch eine Lerche, die letzte Saͤngerin der Na¬
tur, uͤber dem Garten zitterte und allen Fruͤhlingen
des Lebens mit zu heiſſen Toͤnen nachrief und das
Herz mit einem unendlichen toͤdtlichen Sehnen durch¬
ſchnitt: ſo weinte mein Viktor laut hinauf und als
er oben auf dem Grabe die großen duͤſtern Thraͤnen
abgewiſcht hatte, ſtand — Klotilde vor ihm.

Er erzitterte einmal und verſtummte. . . . Sie
kannte kaum die abgebleichte Geſtalt und fragte
zitternd: »Sie ſinds? Sehen wir uns wieder?»
— Seine Seele war auseinandergetrieben und er
ſagte, aber in anderem Sinn: wir ſehen uns wieder.
— Sie bluͤhte, durch die Reiſe geneſen. Aber
Blut war in ihrem Schnupftuch — es war das
Blut, das Emanuel unter dem Duell in der Allee
aus ſeinem Buſen vergoſſen. Er ſtarrte fragend das
Blut an — ſie wies ſanft auf das Grab und ver¬
huͤllte ihr weinendes Auge. — Mit der Frage: »Iſt
»Ihr H. Vater gekommen?« wollte die Gute ſanft
ablenken — aber ſie lenkte ihn an ſein Grab — ſein
Auge ſuchte wild den Raum zur letzten kuͤhlen Grot¬
te des Lebens — ſie hatte ihren ſanften Geliebten
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[371/0381] min toͤdten wollte, ſah er Klotildens welke Feder¬ nelke mit dem blutigen Tropfen liegen. . . . Und da noch eine Lerche, die letzte Saͤngerin der Na¬ tur, uͤber dem Garten zitterte und allen Fruͤhlingen des Lebens mit zu heiſſen Toͤnen nachrief und das Herz mit einem unendlichen toͤdtlichen Sehnen durch¬ ſchnitt: ſo weinte mein Viktor laut hinauf und als er oben auf dem Grabe die großen duͤſtern Thraͤnen abgewiſcht hatte, ſtand — Klotilde vor ihm. Er erzitterte einmal und verſtummte. . . . Sie kannte kaum die abgebleichte Geſtalt und fragte zitternd: »Sie ſinds? Sehen wir uns wieder?» — Seine Seele war auseinandergetrieben und er ſagte, aber in anderem Sinn: wir ſehen uns wieder. — Sie bluͤhte, durch die Reiſe geneſen. Aber Blut war in ihrem Schnupftuch — es war das Blut, das Emanuel unter dem Duell in der Allee aus ſeinem Buſen vergoſſen. Er ſtarrte fragend das Blut an — ſie wies ſanft auf das Grab und ver¬ huͤllte ihr weinendes Auge. — Mit der Frage: »Iſt »Ihr H. Vater gekommen?« wollte die Gute ſanft ablenken — aber ſie lenkte ihn an ſein Grab — ſein Auge ſuchte wild den Raum zur letzten kuͤhlen Grot¬ te des Lebens — ſie hatte ihren ſanften Geliebten niemals ſo geſehen und wollte ſeine Seele mildern durch ſtilles Erinnern an Emanuel — ſie fuͤllte die Aa 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/381>, abgerufen am 23.11.2024.