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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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Nicht weit vom goldnen Löwen (im Grunde im
Habergäßchen) stand ein vornehmer Engländer und
sah zu, wie seine vier rauchende Pferde eine Medi¬
zin von 2/3 gemeinen Salpeter und 1/3 Roßschwefel ge¬
gen das Verschlagen einbekamen. Der Fremde --
der ungefähr so viel Jahre haben mochte als dieses
Buch Tage -- war schwarz gekleidet, lang, ehrwür¬
dig, reich (nach der Equipage zu urtheilen) und schön
gebildet. Sein heller und fixirter Blick lag wie ein
Fokus-Punkt zündend auf den Menschen -- sein
Gesicht war glatt und kalt -- auf seiner Stirne
stand die lothrechte Sekante als der Taktstrich der
Geschäfte, als Exklamazionszeichen über die Mühen
des Lebens -- mit bleichen wagrechten Linien war
dieser Taktstrich rastriert, beide Arten von Linien
waren gleichsam wie Zeichen in die zu hohe Stirne
eingeschnitten, wie hoch das Thränenwasser der
Trübsal schon an dieser Stirne, an dieser Seele auf¬
gestiegen sei. "Ich wollte den Lord Horion --
"dacht' ich -- anders geschildert haben, wenn mir
"dieses Gesicht eher vorgekommen wäre. Viel¬
leicht denkt der Leser, das war der Lord selber.

Als der Engländer mein Terzett von Schweis¬
füchsen erblickt hatte: gieng er gerade auf mich zu
und leitete ein Tauschprojekt ein und wollte meinen
Fuchs mit einem Rappen einwechseln. Er hatte die
Phantasie der vornehmen Russen, mit einem ordent¬

Nicht weit vom goldnen Loͤwen (im Grunde im
Habergaͤßchen) ſtand ein vornehmer Englaͤnder und
ſah zu, wie ſeine vier rauchende Pferde eine Medi¬
zin von ⅔ gemeinen Salpeter und ⅓ Roßſchwefel ge¬
gen das Verſchlagen einbekamen. Der Fremde —
der ungefaͤhr ſo viel Jahre haben mochte als dieſes
Buch Tage — war ſchwarz gekleidet, lang, ehrwuͤr¬
dig, reich (nach der Equipage zu urtheilen) und ſchoͤn
gebildet. Sein heller und fixirter Blick lag wie ein
Fokus-Punkt zuͤndend auf den Menſchen — ſein
Geſicht war glatt und kalt — auf ſeiner Stirne
ſtand die lothrechte Sekante als der Taktſtrich der
Geſchaͤfte, als Exklamazionszeichen uͤber die Muͤhen
des Lebens — mit bleichen wagrechten Linien war
dieſer Taktſtrich raſtriert, beide Arten von Linien
waren gleichſam wie Zeichen in die zu hohe Stirne
eingeſchnitten, wie hoch das Thraͤnenwaſſer der
Truͤbſal ſchon an dieſer Stirne, an dieſer Seele auf¬
geſtiegen ſei. »Ich wollte den Lord Horion —
»dacht' ich — anders geſchildert haben, wenn mir
»dieſes Geſicht eher vorgekommen waͤre. Viel¬
leicht denkt der Leſer, das war der Lord ſelber.

Als der Englaͤnder mein Terzett von Schweis¬
fuͤchſen erblickt hatte: gieng er gerade auf mich zu
und leitete ein Tauſchprojekt ein und wollte meinen
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[418/0428] Nicht weit vom goldnen Loͤwen (im Grunde im Habergaͤßchen) ſtand ein vornehmer Englaͤnder und ſah zu, wie ſeine vier rauchende Pferde eine Medi¬ zin von ⅔ gemeinen Salpeter und ⅓ Roßſchwefel ge¬ gen das Verſchlagen einbekamen. Der Fremde — der ungefaͤhr ſo viel Jahre haben mochte als dieſes Buch Tage — war ſchwarz gekleidet, lang, ehrwuͤr¬ dig, reich (nach der Equipage zu urtheilen) und ſchoͤn gebildet. Sein heller und fixirter Blick lag wie ein Fokus-Punkt zuͤndend auf den Menſchen — ſein Geſicht war glatt und kalt — auf ſeiner Stirne ſtand die lothrechte Sekante als der Taktſtrich der Geſchaͤfte, als Exklamazionszeichen uͤber die Muͤhen des Lebens — mit bleichen wagrechten Linien war dieſer Taktſtrich raſtriert, beide Arten von Linien waren gleichſam wie Zeichen in die zu hohe Stirne eingeſchnitten, wie hoch das Thraͤnenwaſſer der Truͤbſal ſchon an dieſer Stirne, an dieſer Seele auf¬ geſtiegen ſei. »Ich wollte den Lord Horion — »dacht' ich — anders geſchildert haben, wenn mir »dieſes Geſicht eher vorgekommen waͤre. Viel¬ leicht denkt der Leſer, das war der Lord ſelber. Als der Englaͤnder mein Terzett von Schweis¬ fuͤchſen erblickt hatte: gieng er gerade auf mich zu und leitete ein Tauſchprojekt ein und wollte meinen Fuchs mit einem Rappen einwechſeln. Er hatte die Phantaſie der vornehmen Ruſſen, mit einem ordent¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/428>, abgerufen am 16.07.2024.