Wir traten den Weg nach Maienthal an. Ein Engländer erzählte uns, daß er hinter dem Trauer¬ gebüsch -- der Schlafkammer der Mutter des Blin¬ den, der Geliebten des Lords, die unter einer schwarzen Marmorplatte ausruht -- einen zweiten Marmor habe aufgestellt gesehen, den die anflattern¬ den Flortücher überdecken sollten und doch nicht konnten. O da sah jeder von uns sich beklommen nach der Insel um, wie nach einer unterminirten Stadt, eh' sie zerrissen aufgeschleudert wird. -- Aber meine Sehnsucht, Viktor und Maienthal, die¬ sen klassischen Boden meiner wärmsten Träume, zu erblicken, übertäubte die Angst.
Endlich erstiegen wir den südlichen Berg und das bunte Eden wuchs mit seiner Blätter-Fülle und mit dem Gewimmel seiner pulsirenden Zweige rau¬ schend ins Thal hinab drüben lag in Aesten wie ein Nachtigallennest Emanuels stille Hütte, in der jetzt mein Viktor war -- näher an uns braußte die Kastanienallee und oben draussen ruhte der abgemähte Kirchhoff -- -- Mir war, da ich alles dieses bis¬ her nur im Traum der Phantasie gesehen, jetzt wie¬ der als zögen Träume heran und der undurchsichtige Boden wurde ein transparenter von Duft-Gebilden
nem bewoͤlkten Kometen und ſchwuren mit Trauer.
Wir traten den Weg nach Maienthal an. Ein Englaͤnder erzaͤhlte uns, daß er hinter dem Trauer¬ gebuͤſch — der Schlafkammer der Mutter des Blin¬ den, der Geliebten des Lords, die unter einer ſchwarzen Marmorplatte ausruht — einen zweiten Marmor habe aufgeſtellt geſehen, den die anflattern¬ den Flortuͤcher uͤberdecken ſollten und doch nicht konnten. O da ſah jeder von uns ſich beklommen nach der Inſel um, wie nach einer unterminirten Stadt, eh' ſie zerriſſen aufgeſchleudert wird. — Aber meine Sehnſucht, Viktor und Maienthal, die¬ ſen klaſſiſchen Boden meiner waͤrmſten Traͤume, zu erblicken, uͤbertaͤubte die Angſt.
Endlich erſtiegen wir den ſuͤdlichen Berg und das bunte Eden wuchs mit ſeiner Blaͤtter-Fuͤlle und mit dem Gewimmel ſeiner pulſirenden Zweige rau¬ ſchend ins Thal hinab druͤben lag in Aeſten wie ein Nachtigallenneſt Emanuels ſtille Huͤtte, in der jetzt mein Viktor war — naͤher an uns braußte die Kaſtanienallee und oben drauſſen ruhte der abgemaͤhte Kirchhoff — — Mir war, da ich alles dieſes bis¬ her nur im Traum der Phantaſie geſehen, jetzt wie¬ der als zoͤgen Traͤume heran und der undurchſichtige Boden wurde ein transparenter von Duft-Gebilden
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nem bewoͤlkten Kometen und ſchwuren mit
Trauer.
Wir traten den Weg nach Maienthal an. Ein
Englaͤnder erzaͤhlte uns, daß er hinter dem Trauer¬
gebuͤſch — der Schlafkammer der Mutter des Blin¬
den, der Geliebten des Lords, die unter einer
ſchwarzen Marmorplatte ausruht — einen zweiten
Marmor habe aufgeſtellt geſehen, den die anflattern¬
den Flortuͤcher uͤberdecken ſollten und doch nicht
konnten. O da ſah jeder von uns ſich beklommen
nach der Inſel um, wie nach einer unterminirten
Stadt, eh' ſie zerriſſen aufgeſchleudert wird. —
Aber meine Sehnſucht, Viktor und Maienthal, die¬
ſen klaſſiſchen Boden meiner waͤrmſten Traͤume, zu
erblicken, uͤbertaͤubte die Angſt.
Endlich erſtiegen wir den ſuͤdlichen Berg und
das bunte Eden wuchs mit ſeiner Blaͤtter-Fuͤlle und
mit dem Gewimmel ſeiner pulſirenden Zweige rau¬
ſchend ins Thal hinab druͤben lag in Aeſten wie
ein Nachtigallenneſt Emanuels ſtille Huͤtte, in der
jetzt mein Viktor war — naͤher an uns braußte die
Kaſtanienallee und oben drauſſen ruhte der abgemaͤhte
Kirchhoff — — Mir war, da ich alles dieſes bis¬
her nur im Traum der Phantaſie geſehen, jetzt wie¬
der als zoͤgen Traͤume heran und der undurchſichtige
Boden wurde ein transparenter von Duft-Gebilden
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/444>, abgerufen am 23.11.2024.
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