Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

dern habe. Er entschuldigte sich mit seiner
Tischgesellschaft und versprach, sie den andern
Morgen zu sehen und zu begleiten. Er er-
zählte darauf seinen Gästen, wie sonderbar und
ausserordentlich ihm das ganze Betragen und
Sprechen dieser Jungfrau vorgekommen.

Am Freytag Morgen bat sie Marat in
einem Billet um Zugang, unter dem Vor-
wand republikanischer Geheimnisse; sie kam
nach einer Stunde, aber umsonst. Eigentlich
war dieses Mislingen schon ein zweytes; denn
anfangs hatte sie ihn und folglich sich mitten
im Convent opfern wollen. Solche Fehlschla-
gungen oder Kleinigkeiten, wie zum Beyspiel
die lange Reise, das heisse Wetter u. s. w.
hätten einem entnervten moralischen Kraftgenie,
das leicht für Einen Abend zu einem ähnlichen
Feuer auflodert, sehr bald die Flamme ausge-
weht. Denn die meisten jetzigen moralischen
Kraftäußerungen sind nur epileptische; geistige
und körperliche Nüchternheit sind jetzt nöthige
Zuthaten der Helden, wie sonst Abgänge der-

dern habe. Er entſchuldigte ſich mit ſeiner
Tiſchgeſellſchaft und verſprach, ſie den andern
Morgen zu ſehen und zu begleiten. Er er-
zaͤhlte darauf ſeinen Gaͤſten, wie ſonderbar und
auſſerordentlich ihm das ganze Betragen und
Sprechen dieſer Jungfrau vorgekommen.

Am Freytag Morgen bat ſie Marat in
einem Billet um Zugang, unter dem Vor-
wand republikaniſcher Geheimniſſe; ſie kam
nach einer Stunde, aber umſonſt. Eigentlich
war dieſes Mislingen ſchon ein zweytes; denn
anfangs hatte ſie ihn und folglich ſich mitten
im Convent opfern wollen. Solche Fehlſchla-
gungen oder Kleinigkeiten, wie zum Beyſpiel
die lange Reiſe, das heiſſe Wetter u. ſ. w.
haͤtten einem entnervten moraliſchen Kraftgenie,
das leicht fuͤr Einen Abend zu einem aͤhnlichen
Feuer auflodert, ſehr bald die Flamme ausge-
weht. Denn die meiſten jetzigen moraliſchen
Kraftaͤußerungen ſind nur epileptiſche; geiſtige
und koͤrperliche Nuͤchternheit ſind jetzt noͤthige
Zuthaten der Helden, wie ſonſt Abgaͤnge der-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0250" n="244"/>
dern habe. Er ent&#x017F;chuldigte &#x017F;ich mit &#x017F;einer<lb/>
Ti&#x017F;chge&#x017F;ell&#x017F;chaft und ver&#x017F;prach, &#x017F;ie den andern<lb/>
Morgen zu &#x017F;ehen und zu begleiten. Er er-<lb/>
za&#x0364;hlte darauf &#x017F;einen Ga&#x0364;&#x017F;ten, wie &#x017F;onderbar und<lb/>
au&#x017F;&#x017F;erordentlich ihm das ganze Betragen und<lb/>
Sprechen die&#x017F;er Jungfrau vorgekommen.</p><lb/>
          <p>Am Freytag Morgen bat &#x017F;ie Marat in<lb/>
einem Billet um Zugang, unter dem Vor-<lb/>
wand republikani&#x017F;cher Geheimni&#x017F;&#x017F;e; &#x017F;ie kam<lb/>
nach einer Stunde, aber um&#x017F;on&#x017F;t. Eigentlich<lb/>
war die&#x017F;es Mislingen &#x017F;chon ein zweytes; denn<lb/>
anfangs hatte &#x017F;ie ihn und folglich &#x017F;ich mitten<lb/>
im Convent opfern wollen. Solche Fehl&#x017F;chla-<lb/>
gungen oder Kleinigkeiten, wie zum Bey&#x017F;piel<lb/>
die lange Rei&#x017F;e, das hei&#x017F;&#x017F;e Wetter u. &#x017F;. w.<lb/>
ha&#x0364;tten einem entnervten morali&#x017F;chen Kraftgenie,<lb/>
das leicht fu&#x0364;r Einen Abend zu einem a&#x0364;hnlichen<lb/>
Feuer auflodert, &#x017F;ehr bald die Flamme ausge-<lb/>
weht. Denn die mei&#x017F;ten jetzigen morali&#x017F;chen<lb/>
Krafta&#x0364;ußerungen &#x017F;ind nur epilepti&#x017F;che; gei&#x017F;tige<lb/>
und ko&#x0364;rperliche Nu&#x0364;chternheit &#x017F;ind jetzt no&#x0364;thige<lb/>
Zuthaten der Helden, wie &#x017F;on&#x017F;t Abga&#x0364;nge der-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0250] dern habe. Er entſchuldigte ſich mit ſeiner Tiſchgeſellſchaft und verſprach, ſie den andern Morgen zu ſehen und zu begleiten. Er er- zaͤhlte darauf ſeinen Gaͤſten, wie ſonderbar und auſſerordentlich ihm das ganze Betragen und Sprechen dieſer Jungfrau vorgekommen. Am Freytag Morgen bat ſie Marat in einem Billet um Zugang, unter dem Vor- wand republikaniſcher Geheimniſſe; ſie kam nach einer Stunde, aber umſonſt. Eigentlich war dieſes Mislingen ſchon ein zweytes; denn anfangs hatte ſie ihn und folglich ſich mitten im Convent opfern wollen. Solche Fehlſchla- gungen oder Kleinigkeiten, wie zum Beyſpiel die lange Reiſe, das heiſſe Wetter u. ſ. w. haͤtten einem entnervten moraliſchen Kraftgenie, das leicht fuͤr Einen Abend zu einem aͤhnlichen Feuer auflodert, ſehr bald die Flamme ausge- weht. Denn die meiſten jetzigen moraliſchen Kraftaͤußerungen ſind nur epileptiſche; geiſtige und koͤrperliche Nuͤchternheit ſind jetzt noͤthige Zuthaten der Helden, wie ſonſt Abgaͤnge der-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/250
Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/250>, abgerufen am 24.11.2024.