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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809.

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Freiheit und die Freilassung einer volljährigen
Tochter geopfert. Dazu kam, daß er sich öf-
fentlich seines Gevatters schämte; der Zoller
war nämlich in der gelehrten Welt weder als
großer Artzt noch sonst als großer Mann be-
kannt. Was er wirklich verstand -- das Zoll-
wesen -- hatte Katzenberger ihm längst abge-
hört, aber der Doktor gehörte eben unter die
Menschen, welche so lange lieben, als sie ler-
nen -- was die armen Opfer so wenig be-
greifen, welche nie vergessen können, daß sie
einmal von dem Uebermächtigen geachtet
worden. --

Katzenbergers Herz war in dieser Rücksicht
vielleicht das Herz manches Genies; wenig-
stens so etwas von moralischem Leerdarm. Be-
kanntlich wird dieser immer in Leichen leer ge-
funden -- nicht weil er weniger voll wird,
sondern weil er schneller verdaut und fort-
schaft; -- und so gibts Leer-Herzen, welche
nichts haben, bloß weil sie nichts behalten,
sondern alles zersetzt forttreiben.

Freiheit und die Freilaſſung einer volljaͤhrigen
Tochter geopfert. Dazu kam, daß er ſich öf-
fentlich ſeines Gevatters ſchaͤmte; der Zoller
war naͤmlich in der gelehrten Welt weder als
großer Artzt noch ſonſt als großer Mann be-
kannt. Was er wirklich verſtand — das Zoll-
weſen — hatte Katzenberger ihm laͤngſt abge-
hoͤrt, aber der Doktor gehoͤrte eben unter die
Menſchen, welche ſo lange lieben, als ſie ler-
nen — was die armen Opfer ſo wenig be-
greifen, welche nie vergeſſen koͤnnen, daß ſie
einmal von dem Uebermächtigen geachtet
worden. —

Katzenbergers Herz war in dieſer Ruͤckſicht
vielleicht das Herz manches Genies; wenig-
ſtens ſo etwas von moraliſchem Leerdarm. Be-
kanntlich wird dieſer immer in Leichen leer ge-
funden — nicht weil er weniger voll wird,
ſondern weil er ſchneller verdaut und fort-
ſchaft; — und ſo gibts Leer-Herzen, welche
nichts haben, bloß weil ſie nichts behalten,
ſondern alles zerſetzt forttreiben.

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[63/0069] Freiheit und die Freilaſſung einer volljaͤhrigen Tochter geopfert. Dazu kam, daß er ſich öf- fentlich ſeines Gevatters ſchaͤmte; der Zoller war naͤmlich in der gelehrten Welt weder als großer Artzt noch ſonſt als großer Mann be- kannt. Was er wirklich verſtand — das Zoll- weſen — hatte Katzenberger ihm laͤngſt abge- hoͤrt, aber der Doktor gehoͤrte eben unter die Menſchen, welche ſo lange lieben, als ſie ler- nen — was die armen Opfer ſo wenig be- greifen, welche nie vergeſſen koͤnnen, daß ſie einmal von dem Uebermächtigen geachtet worden. — Katzenbergers Herz war in dieſer Ruͤckſicht vielleicht das Herz manches Genies; wenig- ſtens ſo etwas von moraliſchem Leerdarm. Be- kanntlich wird dieſer immer in Leichen leer ge- funden — nicht weil er weniger voll wird, ſondern weil er ſchneller verdaut und fort- ſchaft; — und ſo gibts Leer-Herzen, welche nichts haben, bloß weil ſie nichts behalten, ſondern alles zerſetzt forttreiben.

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/69>, abgerufen am 24.11.2024.