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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Ausser mir hatte wohl niemand Gustavs Na¬
men so oft im Schnabel als der Staar, der gleich
Hofleuten nichts weiter im Kopfe hatte, als ein
nomen proprium. Der Kleine dachte, der Staar
dächte und wäre so gut ein Mensch wie Robisch
und liebte ihn für alles; daher konnt' er sich nicht
satt daran hören und lieben. Er konnte sich an
nichts satt lieben und satt umarmen. Bloß leben¬
dige Geschöpfe waren sein Spielzeug. Der Pachter
hatte dazu noch ein schwarzes Lamm gethan, das
er mit einem rothen Band und mit Brod¬
rinden um den Wall herumlockte. Das Lamm
mußte wie ein Dorfkomödiant alle Rollen machen,
bald mußt' es der Genius, bald der Pudel, bald
Gustav, bald Robisch seyn. So spielte also unser
Freund seine ersten Erdenrollen Solo und war zu¬
gleich Regisseur, Soufleur und Theaterdichter. Sol¬
che Komödien, die sich Kinder machen, sind tau¬
sendmal nützlicher als die, die sie spielen, und wä¬
ren sie aus Weiße's Schreibetisch: in unsern Ta¬
gen, wo ohnehin der ganze Mensch-Figurant, seine
Tugend Gastrolle und seine Empfindung lyrisches
Gedicht wird, ist diese Verrenkung der armen Kin¬
derseelen vollends toll. Indeß ists zuweilen auch

Auſſer mir hatte wohl niemand Guſtavs Na¬
men ſo oft im Schnabel als der Staar, der gleich
Hofleuten nichts weiter im Kopfe hatte, als ein
nomen proprium. Der Kleine dachte, der Staar
daͤchte und waͤre ſo gut ein Menſch wie Robiſch
und liebte ihn fuͤr alles; daher konnt' er ſich nicht
ſatt daran hoͤren und lieben. Er konnte ſich an
nichts ſatt lieben und ſatt umarmen. Bloß leben¬
dige Geſchoͤpfe waren ſein Spielzeug. Der Pachter
hatte dazu noch ein ſchwarzes Lamm gethan, das
er mit einem rothen Band und mit Brod¬
rinden um den Wall herumlockte. Das Lamm
mußte wie ein Dorfkomoͤdiant alle Rollen machen,
bald mußt' es der Genius, bald der Pudel, bald
Guſtav, bald Robiſch ſeyn. So ſpielte alſo unſer
Freund ſeine erſten Erdenrollen Solo und war zu¬
gleich Regiſſeur, Soufleur und Theaterdichter. Sol¬
che Komoͤdien, die ſich Kinder machen, ſind tau¬
ſendmal nuͤtzlicher als die, die ſie ſpielen, und waͤ¬
ren ſie aus Weiße's Schreibetiſch: in unſern Ta¬
gen, wo ohnehin der ganze Menſch-Figurant, ſeine
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Gedicht wird, iſt dieſe Verrenkung der armen Kin¬
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[87/0123] Auſſer mir hatte wohl niemand Guſtavs Na¬ men ſo oft im Schnabel als der Staar, der gleich Hofleuten nichts weiter im Kopfe hatte, als ein nomen proprium. Der Kleine dachte, der Staar daͤchte und waͤre ſo gut ein Menſch wie Robiſch und liebte ihn fuͤr alles; daher konnt' er ſich nicht ſatt daran hoͤren und lieben. Er konnte ſich an nichts ſatt lieben und ſatt umarmen. Bloß leben¬ dige Geſchoͤpfe waren ſein Spielzeug. Der Pachter hatte dazu noch ein ſchwarzes Lamm gethan, das er mit einem rothen Band und mit Brod¬ rinden um den Wall herumlockte. Das Lamm mußte wie ein Dorfkomoͤdiant alle Rollen machen, bald mußt' es der Genius, bald der Pudel, bald Guſtav, bald Robiſch ſeyn. So ſpielte alſo unſer Freund ſeine erſten Erdenrollen Solo und war zu¬ gleich Regiſſeur, Soufleur und Theaterdichter. Sol¬ che Komoͤdien, die ſich Kinder machen, ſind tau¬ ſendmal nuͤtzlicher als die, die ſie ſpielen, und waͤ¬ ren ſie aus Weiße's Schreibetiſch: in unſern Ta¬ gen, wo ohnehin der ganze Menſch-Figurant, ſeine Tugend Gaſtrolle und ſeine Empfindung lyriſches Gedicht wird, iſt dieſe Verrenkung der armen Kin¬ derſeelen vollends toll. Indeß iſts zuweilen auch

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/123>, abgerufen am 21.11.2024.