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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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welchem der weißgeschälte Baum, der zur Kirch¬
weih sich mit geröthelter Fahne und Bänderwim¬
peln noch einmal in die Erde bohren sollte, unse¬
rem Gustav ganz verächtlich wurde, der jetzt in
Scheerau hundert schönern Maienbäumen und Kirch¬
weihen entgegenfuhr. -- Aber als er von der an
Freuden fruchtbaren Region seines Berges vor¬
übergieng: so zog er vom Trauergerüste der ge¬
storbnen Nachmittage, vom klingelnden Vieh das
jetzt am Gipfel grasete, von einem Weidekollabora¬
tor, der ihm schlecht gefiel, vom zusammengetra¬
genen Steinpferch, in den er sein Lämmchen gestellt,
das nun ohne Band und ohne Liebe droben stand,
und endlich vom Markstein, auf dem sonst seine
Traute, seine Schöne strickte, davon freilich zog er
die zurückgewandten Blicke sehnend langsam weg.
"Ach, dacht' er, wer wird dir Zitronenkuchen ge¬
"ben und meinem Lämmchen Brodrinden? Ich will
"euch aber schon alle Tage recht viel herschicken!"

Es war ein reiner Oktobermorgen, der Nebel
lag zusammengefaltet dem Himmel zu Füßen, der
wegfliegende Sommer schwebte mit seinen blauen
Schwingen noch hoch über den Aesten und Blumen,
die ihn getragen und schauete mit dem weiten still

welchem der weißgeſchaͤlte Baum, der zur Kirch¬
weih ſich mit geroͤthelter Fahne und Baͤnderwim¬
peln noch einmal in die Erde bohren ſollte, unſe¬
rem Guſtav ganz veraͤchtlich wurde, der jetzt in
Scheerau hundert ſchoͤnern Maienbaͤumen und Kirch¬
weihen entgegenfuhr. — Aber als er von der an
Freuden fruchtbaren Region ſeines Berges vor¬
uͤbergieng: ſo zog er vom Trauergeruͤſte der ge¬
ſtorbnen Nachmittage, vom klingelnden Vieh das
jetzt am Gipfel graſete, von einem Weidekollabora¬
tor, der ihm ſchlecht gefiel, vom zuſammengetra¬
genen Steinpferch, in den er ſein Laͤmmchen geſtellt,
das nun ohne Band und ohne Liebe droben ſtand,
und endlich vom Markſtein, auf dem ſonſt ſeine
Traute, ſeine Schoͤne ſtrickte, davon freilich zog er
die zuruͤckgewandten Blicke ſehnend langſam weg.
„Ach, dacht' er, wer wird dir Zitronenkuchen ge¬
„ben und meinem Laͤmmchen Brodrinden? Ich will
„euch aber ſchon alle Tage recht viel herſchicken!”

Es war ein reiner Oktobermorgen, der Nebel
lag zuſammengefaltet dem Himmel zu Fuͤßen, der
wegfliegende Sommer ſchwebte mit ſeinen blauen
Schwingen noch hoch uͤber den Aeſten und Blumen,
die ihn getragen und ſchauete mit dem weiten ſtill

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[107/0143] welchem der weißgeſchaͤlte Baum, der zur Kirch¬ weih ſich mit geroͤthelter Fahne und Baͤnderwim¬ peln noch einmal in die Erde bohren ſollte, unſe¬ rem Guſtav ganz veraͤchtlich wurde, der jetzt in Scheerau hundert ſchoͤnern Maienbaͤumen und Kirch¬ weihen entgegenfuhr. — Aber als er von der an Freuden fruchtbaren Region ſeines Berges vor¬ uͤbergieng: ſo zog er vom Trauergeruͤſte der ge¬ ſtorbnen Nachmittage, vom klingelnden Vieh das jetzt am Gipfel graſete, von einem Weidekollabora¬ tor, der ihm ſchlecht gefiel, vom zuſammengetra¬ genen Steinpferch, in den er ſein Laͤmmchen geſtellt, das nun ohne Band und ohne Liebe droben ſtand, und endlich vom Markſtein, auf dem ſonſt ſeine Traute, ſeine Schoͤne ſtrickte, davon freilich zog er die zuruͤckgewandten Blicke ſehnend langſam weg. „Ach, dacht' er, wer wird dir Zitronenkuchen ge¬ „ben und meinem Laͤmmchen Brodrinden? Ich will „euch aber ſchon alle Tage recht viel herſchicken!” Es war ein reiner Oktobermorgen, der Nebel lag zuſammengefaltet dem Himmel zu Fuͤßen, der wegfliegende Sommer ſchwebte mit ſeinen blauen Schwingen noch hoch uͤber den Aeſten und Blumen, die ihn getragen und ſchauete mit dem weiten ſtill

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/143>, abgerufen am 24.11.2024.