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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Mit unserer Unfruchtbarkeit an Werken im al¬
ten Styl nimmt zugleich der Geschmack für diese
Werke zu. Die Alten fühlten den Werth der Al¬
ten -- nicht; und ihre Simplizität, wird bloß von
denen genossen, von denen sie nicht erreicht wer¬
den, von uns. Ich denke, aus diesem Grunde:
die griechische Einfachheit ist von der Einfachheit
der Morgenländer, Wilden und Kinder *) nur im
Genie verschieden, womit das heitere griechische
Klima jene Simplizität auszeichnete. Das ist die
angeborne, nicht erworbene; Die künstliche
erworbene Einfachheit ist eine Wirkung der Kultur
und des Geschmacks: die Menschen des 18. Jahr¬
hunderts waten erst durch Sümpfe und Gießbäche
zu dieser Alpen-Quelle hinauf; wer aber droben
bei ihr ist, verlässet sie nie mehr und nur Völker,
nicht Individuen können von Monboddo's Geschmack
zu Balzac's seinem herabfallen. Dieser erworbne

*) In der Erzählung des Kindes ist die nämliche Verschmä¬
hung des Putzes, der Seitenblicke und der Kürze, die
nämliche Naivetät, die uns oft Laune zu seyn scheint und
keine ist und das nämliche Vergessen des Erzählers über
die Erzählung, wie in den Erzählungen der Biebel, der
älter Griechen etc.
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Mit unſerer Unfruchtbarkeit an Werken im al¬
ten Styl nimmt zugleich der Geſchmack fuͤr dieſe
Werke zu. Die Alten fuͤhlten den Werth der Al¬
ten — nicht; und ihre Simplizitaͤt, wird bloß von
denen genoſſen, von denen ſie nicht erreicht wer¬
den, von uns. Ich denke, aus dieſem Grunde:
die griechiſche Einfachheit iſt von der Einfachheit
der Morgenlaͤnder, Wilden und Kinder *) nur im
Genie verſchieden, womit das heitere griechiſche
Klima jene Simplizitaͤt auszeichnete. Das iſt die
angeborne, nicht erworbene; Die kuͤnſtliche
erworbene Einfachheit iſt eine Wirkung der Kultur
und des Geſchmacks: die Menſchen des 18. Jahr¬
hunderts waten erſt durch Suͤmpfe und Gießbaͤche
zu dieſer Alpen-Quelle hinauf; wer aber droben
bei ihr iſt, verlaͤſſet ſie nie mehr und nur Voͤlker,
nicht Individuen koͤnnen von Monboddo's Geſchmack
zu Balzac's ſeinem herabfallen. Dieſer erworbne

*) In der Erzählung des Kindes iſt die nämliche Verſchmä¬
hung des Putzes, der Seitenblicke und der Kürze, die
nämliche Naivetät, die uns oft Laune zu ſeyn ſcheint und
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die Erzählung, wie in den Erzählungen der Biebel, der
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[193/0229] Mit unſerer Unfruchtbarkeit an Werken im al¬ ten Styl nimmt zugleich der Geſchmack fuͤr dieſe Werke zu. Die Alten fuͤhlten den Werth der Al¬ ten — nicht; und ihre Simplizitaͤt, wird bloß von denen genoſſen, von denen ſie nicht erreicht wer¬ den, von uns. Ich denke, aus dieſem Grunde: die griechiſche Einfachheit iſt von der Einfachheit der Morgenlaͤnder, Wilden und Kinder *) nur im Genie verſchieden, womit das heitere griechiſche Klima jene Simplizitaͤt auszeichnete. Das iſt die angeborne, nicht erworbene; Die kuͤnſtliche erworbene Einfachheit iſt eine Wirkung der Kultur und des Geſchmacks: die Menſchen des 18. Jahr¬ hunderts waten erſt durch Suͤmpfe und Gießbaͤche zu dieſer Alpen-Quelle hinauf; wer aber droben bei ihr iſt, verlaͤſſet ſie nie mehr und nur Voͤlker, nicht Individuen koͤnnen von Monboddo's Geſchmack zu Balzac's ſeinem herabfallen. Dieſer erworbne *) In der Erzählung des Kindes iſt die nämliche Verſchmä¬ hung des Putzes, der Seitenblicke und der Kürze, die nämliche Naivetät, die uns oft Laune zu ſeyn ſcheint und keine iſt und das nämliche Vergeſſen des Erzählers über die Erzählung, wie in den Erzählungen der Biebel, der älter Griechen ꝛc. N

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/229>, abgerufen am 21.11.2024.