Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Plethora, immer bekömmt, nichts seltners kenne
als ihn, den vollendeten Geschmack. O ihr Kon¬
rektores und Gymnasiarchen, die ihr über die De¬
valvation der Alten winselt und greint! wenn sie
noch Augen hätten, sie würden über euere Val¬
vation weinen -- o es gehören andre Herzen und
Seelenflügel (nicht solche Lungenflügel) dazu als in
euren pädagogischen Rümpfen stecken, um einzuse¬
hen, warum die Alten Plato den Göttlichen nann¬
ten, warum Xenophon groß und die Anthologen
edel sind! die Alten waren Menschen, keine Ge¬
lehrten; was seid ihr? und was holt ihr aus
ihnen? . . .

Copiam vocabulorum -- In mittlern Jahrhun¬
derten war auch jeder kleine Nutzen der Alten ein
großer; aber jezt im 18ten, wo alle Völker gradus
ad parnassum
in den Musen-Granit eingehauen,
kömmt es auf 2 Treppen mehr oder weniger nicht
an. Haben denn die jezigen Nationen nichts im
alten Geschmacke geschrieben? -- Wär' es so: so
würden ohnehin Muster, die sich in keinen Eben¬
bildern vervielfältigt haben, leicht zu entrathen
seyn; es ist aber nicht einmal so und die Omar'¬
sche Verbrennung aller Alten könnte uns nur ein

Plethora, immer bekoͤmmt, nichts ſeltners kenne
als ihn, den vollendeten Geſchmack. O ihr Kon¬
rektores und Gymnaſiarchen, die ihr uͤber die De¬
valvation der Alten winſelt und greint! wenn ſie
noch Augen haͤtten, ſie wuͤrden uͤber euere Val¬
vation weinen — o es gehoͤren andre Herzen und
Seelenfluͤgel (nicht ſolche Lungenfluͤgel) dazu als in
euren paͤdagogiſchen Ruͤmpfen ſtecken, um einzuſe¬
hen, warum die Alten Plato den Goͤttlichen nann¬
ten, warum Xenophon groß und die Anthologen
edel ſind! die Alten waren Menſchen, keine Ge¬
lehrten; was ſeid ihr? und was holt ihr aus
ihnen? . . .

Copiam vocabulorum — In mittlern Jahrhun¬
derten war auch jeder kleine Nutzen der Alten ein
großer; aber jezt im 18ten, wo alle Voͤlker gradus
ad parnaſſum
in den Muſen-Granit eingehauen,
koͤmmt es auf 2 Treppen mehr oder weniger nicht
an. Haben denn die jezigen Nationen nichts im
alten Geſchmacke geſchrieben? — Waͤr' es ſo: ſo
wuͤrden ohnehin Muſter, die ſich in keinen Eben¬
bildern vervielfaͤltigt haben, leicht zu entrathen
ſeyn; es iſt aber nicht einmal ſo und die Omar'¬
ſche Verbrennung aller Alten koͤnnte uns nur ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0232" n="196"/>
Plethora, immer beko&#x0364;mmt, nichts &#x017F;eltners kenne<lb/>
als ihn, den vollendeten Ge&#x017F;chmack. O ihr Kon¬<lb/>
rektores und Gymna&#x017F;iarchen, die ihr u&#x0364;ber die De¬<lb/>
valvation der Alten win&#x017F;elt und greint! wenn &#x017F;ie<lb/>
noch Augen ha&#x0364;tten, &#x017F;ie wu&#x0364;rden u&#x0364;ber euere Val¬<lb/>
vation weinen &#x2014; o es geho&#x0364;ren andre Herzen und<lb/>
Seelenflu&#x0364;gel (nicht &#x017F;olche Lungenflu&#x0364;gel) dazu als in<lb/>
euren pa&#x0364;dagogi&#x017F;chen <choice><sic>Su&#x0364;mpfen</sic><corr type="corrigenda">Ru&#x0364;mpfen</corr></choice> &#x017F;tecken, um einzu&#x017F;<lb/>
hen, warum die Alten Plato den Go&#x0364;ttlichen nann¬<lb/>
ten, warum Xenophon groß und die Anthologen<lb/>
edel &#x017F;ind! die Alten waren Men&#x017F;chen, keine Ge¬<lb/>
lehrten; was &#x017F;eid ihr? und was holt ihr aus<lb/>
ihnen? . . .</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">Copiam vocabulorum</hi> &#x2014; In mittlern Jahrhun¬<lb/>
derten war auch jeder kleine Nutzen der Alten ein<lb/>
großer; aber jezt im 18ten, wo alle Vo&#x0364;lker <hi rendition="#aq">gradus<lb/>
ad parna&#x017F;&#x017F;um</hi> in den Mu&#x017F;en-<choice><sic>Gra<supplied>mmt</supplied></sic><corr type="corrigenda">Granit</corr></choice> eingehauen,<lb/>
ko&#x0364;mmt es auf 2 Treppen mehr oder weniger nicht<lb/>
an. Haben denn die jezigen Nationen nichts im<lb/>
alten Ge&#x017F;chmacke ge&#x017F;chrieben? &#x2014; Wa&#x0364;r' es &#x017F;o: &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rden ohnehin Mu&#x017F;ter, die &#x017F;ich in keinen Eben¬<lb/>
bildern vervielfa&#x0364;ltigt haben, leicht zu entrathen<lb/>
&#x017F;eyn; es i&#x017F;t aber nicht einmal &#x017F;o und die Omar'¬<lb/>
&#x017F;che Verbrennung aller Alten ko&#x0364;nnte uns nur ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0232] Plethora, immer bekoͤmmt, nichts ſeltners kenne als ihn, den vollendeten Geſchmack. O ihr Kon¬ rektores und Gymnaſiarchen, die ihr uͤber die De¬ valvation der Alten winſelt und greint! wenn ſie noch Augen haͤtten, ſie wuͤrden uͤber euere Val¬ vation weinen — o es gehoͤren andre Herzen und Seelenfluͤgel (nicht ſolche Lungenfluͤgel) dazu als in euren paͤdagogiſchen Ruͤmpfen ſtecken, um einzuſe¬ hen, warum die Alten Plato den Goͤttlichen nann¬ ten, warum Xenophon groß und die Anthologen edel ſind! die Alten waren Menſchen, keine Ge¬ lehrten; was ſeid ihr? und was holt ihr aus ihnen? . . . Copiam vocabulorum — In mittlern Jahrhun¬ derten war auch jeder kleine Nutzen der Alten ein großer; aber jezt im 18ten, wo alle Voͤlker gradus ad parnaſſum in den Muſen-Granit eingehauen, koͤmmt es auf 2 Treppen mehr oder weniger nicht an. Haben denn die jezigen Nationen nichts im alten Geſchmacke geſchrieben? — Waͤr' es ſo: ſo wuͤrden ohnehin Muſter, die ſich in keinen Eben¬ bildern vervielfaͤltigt haben, leicht zu entrathen ſeyn; es iſt aber nicht einmal ſo und die Omar'¬ ſche Verbrennung aller Alten koͤnnte uns nur ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/232
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/232>, abgerufen am 21.11.2024.