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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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keine Redner mehr als die Anthitesen-Bossierer,
und die Römer die Wortspieler. Zur übermäßigen
Bewunderung Shakespears fehlte ihnen nichts als
Shakespear selber. Eben deswegen konnten diese
Völker wie das Kind, von der natürlichen Ein¬
fachheit zum gleissenden, lackirten Witzeln herun¬
tergehen.

Zweitens versprach ich auf drei Seiten zu be¬
haupten, daß die Vernachläßigung der Alten we¬
nig schade. Denn was nutzet denn ihre Bearbei¬
tung? Sie werden wie die Tugend weit weniger
gefühlt und genossen als man sagt. *) Das Ver¬
gnügen an ihnen ist die richtigste Neuner-Probe
des besten Geschmacks; aber dieser beste Geschmack
setzt eine solche geistige Aufschließung für alle Ar¬
ten von Schönheiten, eine solche Eurythmie und
Mensur aller innern Kräfte voraus, daß nicht blos
Home Geschmack unvereinbar mit einem bösen
Herzen findet, sondern auch daß ich nächst dem
Genie, das ihn nach Entladung seiner Spiritus¬

*) Was die Neuern im Geschmack der Alten schreiben, wird
wenig verstanden; und die Alten selber sollen so häufig
verstanden werden?
N 2

keine Redner mehr als die Anthiteſen-Boſſierer,
und die Roͤmer die Wortſpieler. Zur uͤbermaͤßigen
Bewunderung Shakeſpears fehlte ihnen nichts als
Shakeſpear ſelber. Eben deswegen konnten dieſe
Voͤlker wie das Kind, von der natuͤrlichen Ein¬
fachheit zum gleiſſenden, lackirten Witzeln herun¬
tergehen.

Zweitens verſprach ich auf drei Seiten zu be¬
haupten, daß die Vernachlaͤßigung der Alten we¬
nig ſchade. Denn was nutzet denn ihre Bearbei¬
tung? Sie werden wie die Tugend weit weniger
gefuͤhlt und genoſſen als man ſagt. *) Das Ver¬
gnuͤgen an ihnen iſt die richtigſte Neuner-Probe
des beſten Geſchmacks; aber dieſer beſte Geſchmack
ſetzt eine ſolche geiſtige Aufſchließung fuͤr alle Ar¬
ten von Schoͤnheiten, eine ſolche Eurythmie und
Menſur aller innern Kraͤfte voraus, daß nicht blos
Home Geſchmack unvereinbar mit einem boͤſen
Herzen findet, ſondern auch daß ich naͤchſt dem
Genie, das ihn nach Entladung ſeiner Spiritus¬

*) Was die Neuern im Geſchmack der Alten ſchreiben, wird
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[195/0231] keine Redner mehr als die Anthiteſen-Boſſierer, und die Roͤmer die Wortſpieler. Zur uͤbermaͤßigen Bewunderung Shakeſpears fehlte ihnen nichts als Shakeſpear ſelber. Eben deswegen konnten dieſe Voͤlker wie das Kind, von der natuͤrlichen Ein¬ fachheit zum gleiſſenden, lackirten Witzeln herun¬ tergehen. Zweitens verſprach ich auf drei Seiten zu be¬ haupten, daß die Vernachlaͤßigung der Alten we¬ nig ſchade. Denn was nutzet denn ihre Bearbei¬ tung? Sie werden wie die Tugend weit weniger gefuͤhlt und genoſſen als man ſagt. *) Das Ver¬ gnuͤgen an ihnen iſt die richtigſte Neuner-Probe des beſten Geſchmacks; aber dieſer beſte Geſchmack ſetzt eine ſolche geiſtige Aufſchließung fuͤr alle Ar¬ ten von Schoͤnheiten, eine ſolche Eurythmie und Menſur aller innern Kraͤfte voraus, daß nicht blos Home Geſchmack unvereinbar mit einem boͤſen Herzen findet, ſondern auch daß ich naͤchſt dem Genie, das ihn nach Entladung ſeiner Spiritus¬ *) Was die Neuern im Geſchmack der Alten ſchreiben, wird wenig verſtanden; und die Alten ſelber ſollen ſo häufig verſtanden werden? N 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/231>, abgerufen am 21.11.2024.