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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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re Reize schwächer empfindet als wir alle; denn wir
würden nur desto vollkommner seyn, wenn wir zu¬
gleich mit dem jezigen Gefühl für das griechische Epi¬
gram das verlorne Jugend-Entzücken über das fran¬
zösische verknüpfen könnten. Man sollte also den
Jüngling sich an diesen Leckereien wie der Zuckerbä¬
cker seinen Lehrjungen an andern, so lange sättigen
lassen bis er sich daran überdrüßig und für höhere
Kost hungrig genossen hätte -- jezt aber exponirt er
sich umgekehrt an den Alten satt und bildet und rei¬
zet damit seinen Geschmack für die Neuern. In un¬
serer Autoren-Welt erscheinen die traurigen Folgen
davon, daß Scholarchate den Anfang mit dem Ende
machen und von Autoren, die bloß dem zartesten
besten Geschmacke die letzte Ründe geben, den gym¬
nasiastischen aus dem Groben wollen hauen lassen
und so weder der Natur folgen noch mir.

Die Scholarchate besorgen freilich, "dadurch
käme unter die jungen Leute mehr Witz als schicklich
ist, wenn man den Seneka, Epigrammen und ver¬
dorbne Autores lese." Meine erste Antwort ist, daß
die Konstitution des Deutschen robust und gesund ge¬
nug ist, um dem Fleckfieber des Witzes weniger aus¬
gesetzt zu seyn als andre Völker. Z. B. das witzige

re Reize ſchwaͤcher empfindet als wir alle; denn wir
wuͤrden nur deſto vollkommner ſeyn, wenn wir zu¬
gleich mit dem jezigen Gefuͤhl fuͤr das griechiſche Epi¬
gram das verlorne Jugend-Entzuͤcken uͤber das fran¬
zoͤſiſche verknuͤpfen koͤnnten. Man ſollte alſo den
Juͤngling ſich an dieſen Leckereien wie der Zuckerbaͤ¬
cker ſeinen Lehrjungen an andern, ſo lange ſaͤttigen
laſſen bis er ſich daran uͤberdruͤßig und fuͤr hoͤhere
Koſt hungrig genoſſen haͤtte — jezt aber exponirt er
ſich umgekehrt an den Alten ſatt und bildet und rei¬
zet damit ſeinen Geſchmack fuͤr die Neuern. In un¬
ſerer Autoren-Welt erſcheinen die traurigen Folgen
davon, daß Scholarchate den Anfang mit dem Ende
machen und von Autoren, die bloß dem zarteſten
beſten Geſchmacke die letzte Ruͤnde geben, den gym¬
naſiaſtiſchen aus dem Groben wollen hauen laſſen
und ſo weder der Natur folgen noch mir.

Die Scholarchate beſorgen freilich, „dadurch
kaͤme unter die jungen Leute mehr Witz als ſchicklich
iſt, wenn man den Seneka, Epigrammen und ver¬
dorbne Autores leſe.“ Meine erſte Antwort iſt, daß
die Konſtitution des Deutſchen robuſt und geſund ge¬
nug iſt, um dem Fleckfieber des Witzes weniger aus¬
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[199/0235] re Reize ſchwaͤcher empfindet als wir alle; denn wir wuͤrden nur deſto vollkommner ſeyn, wenn wir zu¬ gleich mit dem jezigen Gefuͤhl fuͤr das griechiſche Epi¬ gram das verlorne Jugend-Entzuͤcken uͤber das fran¬ zoͤſiſche verknuͤpfen koͤnnten. Man ſollte alſo den Juͤngling ſich an dieſen Leckereien wie der Zuckerbaͤ¬ cker ſeinen Lehrjungen an andern, ſo lange ſaͤttigen laſſen bis er ſich daran uͤberdruͤßig und fuͤr hoͤhere Koſt hungrig genoſſen haͤtte — jezt aber exponirt er ſich umgekehrt an den Alten ſatt und bildet und rei¬ zet damit ſeinen Geſchmack fuͤr die Neuern. In un¬ ſerer Autoren-Welt erſcheinen die traurigen Folgen davon, daß Scholarchate den Anfang mit dem Ende machen und von Autoren, die bloß dem zarteſten beſten Geſchmacke die letzte Ruͤnde geben, den gym¬ naſiaſtiſchen aus dem Groben wollen hauen laſſen und ſo weder der Natur folgen noch mir. Die Scholarchate beſorgen freilich, „dadurch kaͤme unter die jungen Leute mehr Witz als ſchicklich iſt, wenn man den Seneka, Epigrammen und ver¬ dorbne Autores leſe.“ Meine erſte Antwort iſt, daß die Konſtitution des Deutſchen robuſt und geſund ge¬ nug iſt, um dem Fleckfieber des Witzes weniger aus¬ geſetzt zu ſeyn als andre Voͤlker. Z. B. das witzige

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/235>, abgerufen am 24.11.2024.