dergleichen Schürze, welches alles noch dazu so blütenweiß war wie ich und am schönsten Leibe in der ganzen Pfarrei saß -- an Reginens ihrem, die oder der darin sich auf das zweite Kommunizi¬ ren vorbereitete. So etwas, mein Gustav, mach¬ te dich ganz natürlich aufmerksamer als zerstreuet; und wenn mir das Scholarchat nur eine halbe sol¬ che Muse statt des Bauchküssens meines leken Kon¬ rektors auf den Katheder entgegengestellt hätte: ich würde gelernt haben, ferner analysirt, for¬ mirt, konstruirt! -- Deswegen wars zweitens kei¬ ne Hexerei, Gustav -- da bloß dein Ohr der Wind¬ seite vom Pastor entgegenlag, das Aug' aber der Sonnenseite von Reginen -- daß du wenig dir aus der halben Stunde machtest, die der Senior drüber gab, um sein Gewissen zum Narren zu haben. Er hielt, um diesen Frais- und Zentherrn und Veimer im Herzen, das Gewissen, stille zu machen, seine Kinderlehren eine halbe und seine Predigten dreiviertel Stunden länger als die ganze Diözes. Der Mensch thut lieber mehr wie seine Pflicht als seine Pflicht.
Da er nicht wußte, daß Mädchen nichts überse¬ hen und alles überhören: so war ihm der ganze Ka¬
techismus
dergleichen Schuͤrze, welches alles noch dazu ſo bluͤtenweiß war wie ich und am ſchoͤnſten Leibe in der ganzen Pfarrei ſaß — an Reginens ihrem, die oder der darin ſich auf das zweite Kommunizi¬ ren vorbereitete. So etwas, mein Guſtav, mach¬ te dich ganz natuͤrlich aufmerkſamer als zerſtreuet; und wenn mir das Scholarchat nur eine halbe ſol¬ che Muſe ſtatt des Bauchkuͤſſens meines leken Kon¬ rektors auf den Katheder entgegengeſtellt haͤtte: ich wuͤrde gelernt haben, ferner analyſirt, for¬ mirt, konſtruirt! — Deswegen wars zweitens kei¬ ne Hexerei, Guſtav — da bloß dein Ohr der Wind¬ ſeite vom Paſtor entgegenlag, das Aug' aber der Sonnenſeite von Reginen — daß du wenig dir aus der halben Stunde machteſt, die der Senior druͤber gab, um ſein Gewiſſen zum Narren zu haben. Er hielt, um dieſen Frais- und Zentherrn und Veimer im Herzen, das Gewiſſen, ſtille zu machen, ſeine Kinderlehren eine halbe und ſeine Predigten dreiviertel Stunden laͤnger als die ganze Dioͤzes. Der Menſch thut lieber mehr wie ſeine Pflicht als ſeine Pflicht.
Da er nicht wußte, daß Maͤdchen nichts uͤberſe¬ hen und alles uͤberhoͤren: ſo war ihm der ganze Ka¬
techiſmus
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0244"n="208"/>
dergleichen Schuͤrze, welches alles noch dazu ſo<lb/>
bluͤtenweiß war wie ich und am ſchoͤnſten Leibe in<lb/>
der ganzen Pfarrei ſaß — an <hirendition="#g">Reginens</hi> ihrem,<lb/>
die oder der darin ſich auf das zweite Kommunizi¬<lb/>
ren vorbereitete. So etwas, mein Guſtav, mach¬<lb/>
te dich ganz natuͤrlich aufmerkſamer als zerſtreuet;<lb/>
und wenn mir das Scholarchat nur eine halbe ſol¬<lb/>
che Muſe ſtatt des Bauchkuͤſſens meines leken Kon¬<lb/>
rektors auf den Katheder entgegengeſtellt haͤtte:<lb/>
ich wuͤrde gelernt haben, ferner analyſirt, for¬<lb/>
mirt, konſtruirt! — Deswegen wars zweitens kei¬<lb/>
ne Hexerei, Guſtav — da bloß dein Ohr der <hirendition="#g">Wind</hi>¬<lb/><hirendition="#g">ſeite</hi> vom Paſtor entgegenlag, das Aug' aber der<lb/><hirendition="#g">Sonnenſeite</hi> von Reginen — daß <choice><sic>dn</sic><corr>du</corr></choice> wenig dir<lb/>
aus der halben Stunde machteſt, die der Senior<lb/>
druͤber gab, um ſein Gewiſſen zum Narren zu haben.<lb/>
Er hielt, um dieſen Frais- und Zentherrn und<lb/><choice><sic>Reimer</sic><corrtype="corrigenda">Veimer</corr></choice> im Herzen, das Gewiſſen, ſtille zu machen,<lb/>ſeine Kinderlehren eine halbe und ſeine Predigten<lb/>
dreiviertel Stunden laͤnger als die ganze Dioͤzes.<lb/>
Der Menſch thut lieber mehr wie ſeine Pflicht als<lb/>ſeine Pflicht.</p><lb/><p>Da er nicht wußte, daß Maͤdchen nichts uͤberſe¬<lb/>
hen und alles uͤberhoͤren: ſo war ihm der ganze Ka¬<lb/><fwplace="bottom"type="catch">techiſmus<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[208/0244]
dergleichen Schuͤrze, welches alles noch dazu ſo
bluͤtenweiß war wie ich und am ſchoͤnſten Leibe in
der ganzen Pfarrei ſaß — an Reginens ihrem,
die oder der darin ſich auf das zweite Kommunizi¬
ren vorbereitete. So etwas, mein Guſtav, mach¬
te dich ganz natuͤrlich aufmerkſamer als zerſtreuet;
und wenn mir das Scholarchat nur eine halbe ſol¬
che Muſe ſtatt des Bauchkuͤſſens meines leken Kon¬
rektors auf den Katheder entgegengeſtellt haͤtte:
ich wuͤrde gelernt haben, ferner analyſirt, for¬
mirt, konſtruirt! — Deswegen wars zweitens kei¬
ne Hexerei, Guſtav — da bloß dein Ohr der Wind¬
ſeite vom Paſtor entgegenlag, das Aug' aber der
Sonnenſeite von Reginen — daß du wenig dir
aus der halben Stunde machteſt, die der Senior
druͤber gab, um ſein Gewiſſen zum Narren zu haben.
Er hielt, um dieſen Frais- und Zentherrn und
Veimer im Herzen, das Gewiſſen, ſtille zu machen,
ſeine Kinderlehren eine halbe und ſeine Predigten
dreiviertel Stunden laͤnger als die ganze Dioͤzes.
Der Menſch thut lieber mehr wie ſeine Pflicht als
ſeine Pflicht.
Da er nicht wußte, daß Maͤdchen nichts uͤberſe¬
hen und alles uͤberhoͤren: ſo war ihm der ganze Ka¬
techiſmus
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/244>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.