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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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del sich etwas hinaufzustecken -- er stand am Ge¬
sichte, auf dem so viele schöne Abendröthen seines
Lebens untergegangen waren, so nahe, und so
stumm und hielt sie ein wenig als sie nachwollte --
wäre sie stille gestanden, so hätt' er sie nicht hal¬
ten können; aber da sie riß: so umfaßte er sie
fester und im größern Bogen -- ihr Ringen verei¬
nigte beide, aber seiner trunknen Seele ersetzte die
Nähe den Kuß -- das Sträuben führte seine zuk¬
kende Lippen an ihre -- aber doch erst als sie seine
Brust von ihrer wegstemmte und seine mit der Na¬
del zerritzte, dann erst strickte er sie mit unaus¬
sprechlicher vom eignen Blute berauschter Liebe an
sich und wollte ihren Lippen ihre Seele aussaugen
und seine ganze eingiessen -- sie standen auf zwei
entfernten Himmeln, zu einander über den Ab¬
grund herübergelehnt und einander auf dem zittern¬
den Boden umklammernd, um nicht loslassend
zwischen die Himmel hinunter zu stürzen . . . .

. . . . Könnt' ich seinen ersten Kuß tausendmal
brennender koloriren: ich thät's; denn er gehört
unter die ersten Abdrücke der Seele, unter die
Maiblumen der Liebe, er ist die beste mir bekann¬
te Dephlegmation des erdigten Menschen. Nur

del ſich etwas hinaufzuſtecken — er ſtand am Ge¬
ſichte, auf dem ſo viele ſchoͤne Abendroͤthen ſeines
Lebens untergegangen waren, ſo nahe, und ſo
ſtumm und hielt ſie ein wenig als ſie nachwollte —
waͤre ſie ſtille geſtanden, ſo haͤtt' er ſie nicht hal¬
ten koͤnnen; aber da ſie riß: ſo umfaßte er ſie
feſter und im groͤßern Bogen — ihr Ringen verei¬
nigte beide, aber ſeiner trunknen Seele erſetzte die
Naͤhe den Kuß — das Straͤuben fuͤhrte ſeine zuk¬
kende Lippen an ihre — aber doch erſt als ſie ſeine
Bruſt von ihrer wegſtemmte und ſeine mit der Na¬
del zerritzte, dann erſt ſtrickte er ſie mit unaus¬
ſprechlicher vom eignen Blute berauſchter Liebe an
ſich und wollte ihren Lippen ihre Seele ausſaugen
und ſeine ganze eingieſſen — ſie ſtanden auf zwei
entfernten Himmeln, zu einander uͤber den Ab¬
grund heruͤbergelehnt und einander auf dem zittern¬
den Boden umklammernd, um nicht loslaſſend
zwiſchen die Himmel hinunter zu ſtuͤrzen . . . .

. . . . Koͤnnt' ich ſeinen erſten Kuß tauſendmal
brennender koloriren: ich thaͤt's; denn er gehoͤrt
unter die erſten Abdruͤcke der Seele, unter die
Maiblumen der Liebe, er iſt die beſte mir bekann¬
te Dephlegmation des erdigten Menſchen. Nur

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[216/0252] del ſich etwas hinaufzuſtecken — er ſtand am Ge¬ ſichte, auf dem ſo viele ſchoͤne Abendroͤthen ſeines Lebens untergegangen waren, ſo nahe, und ſo ſtumm und hielt ſie ein wenig als ſie nachwollte — waͤre ſie ſtille geſtanden, ſo haͤtt' er ſie nicht hal¬ ten koͤnnen; aber da ſie riß: ſo umfaßte er ſie feſter und im groͤßern Bogen — ihr Ringen verei¬ nigte beide, aber ſeiner trunknen Seele erſetzte die Naͤhe den Kuß — das Straͤuben fuͤhrte ſeine zuk¬ kende Lippen an ihre — aber doch erſt als ſie ſeine Bruſt von ihrer wegſtemmte und ſeine mit der Na¬ del zerritzte, dann erſt ſtrickte er ſie mit unaus¬ ſprechlicher vom eignen Blute berauſchter Liebe an ſich und wollte ihren Lippen ihre Seele ausſaugen und ſeine ganze eingieſſen — ſie ſtanden auf zwei entfernten Himmeln, zu einander uͤber den Ab¬ grund heruͤbergelehnt und einander auf dem zittern¬ den Boden umklammernd, um nicht loslaſſend zwiſchen die Himmel hinunter zu ſtuͤrzen . . . . . . . . Koͤnnt' ich ſeinen erſten Kuß tauſendmal brennender koloriren: ich thaͤt's; denn er gehoͤrt unter die erſten Abdruͤcke der Seele, unter die Maiblumen der Liebe, er iſt die beſte mir bekann¬ te Dephlegmation des erdigten Menſchen. Nur

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/252>, abgerufen am 22.11.2024.