del sich etwas hinaufzustecken -- er stand am Ge¬ sichte, auf dem so viele schöne Abendröthen seines Lebens untergegangen waren, so nahe, und so stumm und hielt sie ein wenig als sie nachwollte -- wäre sie stille gestanden, so hätt' er sie nicht hal¬ ten können; aber da sie riß: so umfaßte er sie fester und im größern Bogen -- ihr Ringen verei¬ nigte beide, aber seiner trunknen Seele ersetzte die Nähe den Kuß -- das Sträuben führte seine zuk¬ kende Lippen an ihre -- aber doch erst als sie seine Brust von ihrer wegstemmte und seine mit der Na¬ del zerritzte, dann erst strickte er sie mit unaus¬ sprechlicher vom eignen Blute berauschter Liebe an sich und wollte ihren Lippen ihre Seele aussaugen und seine ganze eingiessen -- sie standen auf zwei entfernten Himmeln, zu einander über den Ab¬ grund herübergelehnt und einander auf dem zittern¬ den Boden umklammernd, um nicht loslassend zwischen die Himmel hinunter zu stürzen . . . .
. . . . Könnt' ich seinen ersten Kuß tausendmal brennender koloriren: ich thät's; denn er gehört unter die ersten Abdrücke der Seele, unter die Maiblumen der Liebe, er ist die beste mir bekann¬ te Dephlegmation des erdigten Menschen. Nur
del ſich etwas hinaufzuſtecken — er ſtand am Ge¬ ſichte, auf dem ſo viele ſchoͤne Abendroͤthen ſeines Lebens untergegangen waren, ſo nahe, und ſo ſtumm und hielt ſie ein wenig als ſie nachwollte — waͤre ſie ſtille geſtanden, ſo haͤtt' er ſie nicht hal¬ ten koͤnnen; aber da ſie riß: ſo umfaßte er ſie feſter und im groͤßern Bogen — ihr Ringen verei¬ nigte beide, aber ſeiner trunknen Seele erſetzte die Naͤhe den Kuß — das Straͤuben fuͤhrte ſeine zuk¬ kende Lippen an ihre — aber doch erſt als ſie ſeine Bruſt von ihrer wegſtemmte und ſeine mit der Na¬ del zerritzte, dann erſt ſtrickte er ſie mit unaus¬ ſprechlicher vom eignen Blute berauſchter Liebe an ſich und wollte ihren Lippen ihre Seele ausſaugen und ſeine ganze eingieſſen — ſie ſtanden auf zwei entfernten Himmeln, zu einander uͤber den Ab¬ grund heruͤbergelehnt und einander auf dem zittern¬ den Boden umklammernd, um nicht loslaſſend zwiſchen die Himmel hinunter zu ſtuͤrzen . . . .
. . . . Koͤnnt' ich ſeinen erſten Kuß tauſendmal brennender koloriren: ich thaͤt's; denn er gehoͤrt unter die erſten Abdruͤcke der Seele, unter die Maiblumen der Liebe, er iſt die beſte mir bekann¬ te Dephlegmation des erdigten Menſchen. Nur
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0252"n="216"/>
del ſich etwas hinaufzuſtecken — er ſtand am Ge¬<lb/>ſichte, auf dem ſo viele ſchoͤne Abendroͤthen ſeines<lb/>
Lebens untergegangen waren, ſo nahe, und ſo<lb/>ſtumm und hielt ſie ein wenig als ſie nachwollte —<lb/>
waͤre ſie ſtille geſtanden, ſo haͤtt' er ſie nicht hal¬<lb/>
ten koͤnnen; aber da ſie riß: ſo umfaßte er ſie<lb/>
feſter und im groͤßern Bogen — ihr Ringen verei¬<lb/>
nigte beide, aber ſeiner trunknen Seele erſetzte die<lb/>
Naͤhe den Kuß — das Straͤuben fuͤhrte ſeine zuk¬<lb/>
kende Lippen an ihre — aber doch erſt als ſie ſeine<lb/>
Bruſt von ihrer wegſtemmte und ſeine mit der Na¬<lb/>
del zerritzte, dann erſt ſtrickte er ſie mit unaus¬<lb/>ſprechlicher vom eignen Blute berauſchter Liebe an<lb/>ſich und wollte ihren Lippen ihre Seele ausſaugen<lb/>
und ſeine ganze eingieſſen —ſie ſtanden auf zwei<lb/>
entfernten Himmeln, zu einander uͤber den Ab¬<lb/>
grund heruͤbergelehnt und einander auf dem zittern¬<lb/>
den Boden umklammernd, um nicht loslaſſend<lb/>
zwiſchen die Himmel hinunter zu ſtuͤrzen . . . .</p><lb/><p>. . . . Koͤnnt' ich ſeinen erſten Kuß tauſendmal<lb/>
brennender koloriren: ich thaͤt's; denn er gehoͤrt<lb/>
unter die <hirendition="#g">erſten Abdruͤcke</hi> der Seele, unter die<lb/>
Maiblumen der Liebe, er iſt die beſte mir bekann¬<lb/>
te <hirendition="#g">Dephlegmation</hi> des erdigten Menſchen. Nur<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[216/0252]
del ſich etwas hinaufzuſtecken — er ſtand am Ge¬
ſichte, auf dem ſo viele ſchoͤne Abendroͤthen ſeines
Lebens untergegangen waren, ſo nahe, und ſo
ſtumm und hielt ſie ein wenig als ſie nachwollte —
waͤre ſie ſtille geſtanden, ſo haͤtt' er ſie nicht hal¬
ten koͤnnen; aber da ſie riß: ſo umfaßte er ſie
feſter und im groͤßern Bogen — ihr Ringen verei¬
nigte beide, aber ſeiner trunknen Seele erſetzte die
Naͤhe den Kuß — das Straͤuben fuͤhrte ſeine zuk¬
kende Lippen an ihre — aber doch erſt als ſie ſeine
Bruſt von ihrer wegſtemmte und ſeine mit der Na¬
del zerritzte, dann erſt ſtrickte er ſie mit unaus¬
ſprechlicher vom eignen Blute berauſchter Liebe an
ſich und wollte ihren Lippen ihre Seele ausſaugen
und ſeine ganze eingieſſen — ſie ſtanden auf zwei
entfernten Himmeln, zu einander uͤber den Ab¬
grund heruͤbergelehnt und einander auf dem zittern¬
den Boden umklammernd, um nicht loslaſſend
zwiſchen die Himmel hinunter zu ſtuͤrzen . . . .
. . . . Koͤnnt' ich ſeinen erſten Kuß tauſendmal
brennender koloriren: ich thaͤt's; denn er gehoͤrt
unter die erſten Abdruͤcke der Seele, unter die
Maiblumen der Liebe, er iſt die beſte mir bekann¬
te Dephlegmation des erdigten Menſchen. Nur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/252>, abgerufen am 28.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.