Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

se architektonische Fötusse das ganze Jahr nicht
zweimal bewunderte. Hinter dem zweiten Rücken
des Schlosses fieng sich der englische Garten mit ei¬
nem französischen an, den die Fürstin stehen lassen,
um den Kontrast zu nützen oder um den zu ver¬
meiden, in dem sich ein tättowirter brillantirter
dekorirter Pallast neben die patriarchalische Natur
im Schäferkleide postirt. Wer nicht vor den beiden
Schlössern vorbei wollte: konnte durch ein Fichten¬
wäldgen in den Park gelangen und vorher in eine
Klausnerei, deren Väter der alte Fürst und sein
Favorit-Kammerherr gewesen waren. Beide wa¬
ren in ihrem Leben nicht einen halben Tag allein
gewesen, außer wenn sie sich auf einer Jagd oder
sonst verirrten -- daher wollten sie doch allein
seyn und setzten deswegen (was fragten sie dar¬
nach, daß sie ein Plagiat und einen Nachdruck
der Bayreuthischen Eremitage veranstallteten?)
neun Häusergen aufs Papier, nachher auf den
Tisch und endlich auf die Erde, oder vielmehr
neun bemooste Klafter Holz: in diesen ausgehölten
Vexier-Klaftern steckte sinesisches Ameublement,
Gold und ein lebendiger Hofmann, wie man et¬
wann in lebendigen Baumstämmen mit dem grösten

ſe architektoniſche Foͤtuſſe das ganze Jahr nicht
zweimal bewunderte. Hinter dem zweiten Ruͤcken
des Schloſſes fieng ſich der engliſche Garten mit ei¬
nem franzoͤſiſchen an, den die Fuͤrſtin ſtehen laſſen,
um den Kontraſt zu nuͤtzen oder um den zu ver¬
meiden, in dem ſich ein taͤttowirter brillantirter
dekorirter Pallaſt neben die patriarchaliſche Natur
im Schaͤferkleide poſtirt. Wer nicht vor den beiden
Schloͤſſern vorbei wollte: konnte durch ein Fichten¬
waͤldgen in den Park gelangen und vorher in eine
Klausnerei, deren Vaͤter der alte Fuͤrſt und ſein
Favorit-Kammerherr geweſen waren. Beide wa¬
ren in ihrem Leben nicht einen halben Tag allein
geweſen, außer wenn ſie ſich auf einer Jagd oder
ſonſt verirrten — daher wollten ſie doch allein
ſeyn und ſetzten deswegen (was fragten ſie dar¬
nach, daß ſie ein Plagiat und einen Nachdruck
der Bayreuthiſchen Eremitage veranſtallteten?)
neun Haͤuſergen aufs Papier, nachher auf den
Tiſch und endlich auf die Erde, oder vielmehr
neun bemooſte Klafter Holz: in dieſen ausgehoͤlten
Vexier-Klaftern ſteckte ſineſiſches Ameublement,
Gold und ein lebendiger Hofmann, wie man et¬
wann in lebendigen Baumſtaͤmmen mit dem groͤſten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0362" n="326"/>
&#x017F;e architektoni&#x017F;che Fo&#x0364;tu&#x017F;&#x017F;e das ganze Jahr nicht<lb/>
zweimal bewunderte. Hinter dem zweiten Ru&#x0364;cken<lb/>
des Schlo&#x017F;&#x017F;es fieng &#x017F;ich der engli&#x017F;che Garten mit ei¬<lb/>
nem franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen an, den die Fu&#x0364;r&#x017F;tin &#x017F;tehen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
um den Kontra&#x017F;t zu nu&#x0364;tzen oder um den zu ver¬<lb/>
meiden, in dem &#x017F;ich ein ta&#x0364;ttowirter brillantirter<lb/>
dekorirter Palla&#x017F;t neben die patriarchali&#x017F;che Natur<lb/>
im Scha&#x0364;ferkleide po&#x017F;tirt. Wer nicht vor den beiden<lb/>
Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern vorbei wollte: konnte durch ein Fichten¬<lb/>
wa&#x0364;ldgen in den Park gelangen und vorher in eine<lb/>
Klausnerei, deren Va&#x0364;ter der alte Fu&#x0364;r&#x017F;t und &#x017F;ein<lb/>
Favorit-Kammerherr gewe&#x017F;en waren. Beide wa¬<lb/>
ren in ihrem Leben nicht einen halben Tag allein<lb/>
gewe&#x017F;en, außer wenn &#x017F;ie &#x017F;ich auf einer Jagd oder<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;on&#x017F;t</hi> verirrten &#x2014; daher wollten &#x017F;ie doch allein<lb/>
&#x017F;eyn und &#x017F;etzten deswegen (was fragten &#x017F;ie dar¬<lb/>
nach, daß &#x017F;ie ein Plagiat und einen Nachdruck<lb/>
der Bayreuthi&#x017F;chen Eremitage veran&#x017F;tallteten?)<lb/>
neun Ha&#x0364;u&#x017F;ergen aufs Papier, nachher auf den<lb/>
Ti&#x017F;ch und endlich auf die Erde, oder vielmehr<lb/>
neun bemoo&#x017F;te Klafter Holz: in die&#x017F;en ausgeho&#x0364;lten<lb/>
Vexier-Klaftern &#x017F;teckte &#x017F;ine&#x017F;i&#x017F;ches Ameublement,<lb/>
Gold und ein lebendiger Hofmann, wie man et¬<lb/>
wann in lebendigen Baum&#x017F;ta&#x0364;mmen mit dem gro&#x0364;&#x017F;ten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0362] ſe architektoniſche Foͤtuſſe das ganze Jahr nicht zweimal bewunderte. Hinter dem zweiten Ruͤcken des Schloſſes fieng ſich der engliſche Garten mit ei¬ nem franzoͤſiſchen an, den die Fuͤrſtin ſtehen laſſen, um den Kontraſt zu nuͤtzen oder um den zu ver¬ meiden, in dem ſich ein taͤttowirter brillantirter dekorirter Pallaſt neben die patriarchaliſche Natur im Schaͤferkleide poſtirt. Wer nicht vor den beiden Schloͤſſern vorbei wollte: konnte durch ein Fichten¬ waͤldgen in den Park gelangen und vorher in eine Klausnerei, deren Vaͤter der alte Fuͤrſt und ſein Favorit-Kammerherr geweſen waren. Beide wa¬ ren in ihrem Leben nicht einen halben Tag allein geweſen, außer wenn ſie ſich auf einer Jagd oder ſonſt verirrten — daher wollten ſie doch allein ſeyn und ſetzten deswegen (was fragten ſie dar¬ nach, daß ſie ein Plagiat und einen Nachdruck der Bayreuthiſchen Eremitage veranſtallteten?) neun Haͤuſergen aufs Papier, nachher auf den Tiſch und endlich auf die Erde, oder vielmehr neun bemooſte Klafter Holz: in dieſen ausgehoͤlten Vexier-Klaftern ſteckte ſineſiſches Ameublement, Gold und ein lebendiger Hofmann, wie man et¬ wann in lebendigen Baumſtaͤmmen mit dem groͤſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/362
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/362>, abgerufen am 09.06.2024.