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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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macher, die Zeichnung jeder Geschichte und um¬
bauete den Kleinen mit diesem orbis pictus guter
Menschen wie der allmächtige Genius uns mit der
großen Natur. Aber er gab ihm die Zeichnung
nie vor sondern nach der Beschreibung, weil Kin¬
der das Hören zum Sehen stärker zieht als das
Sehen zum Hören. Ein anderer hätte zu diesem
pädagogischen Hebebaum statt der Reisfedern den
Fidelbogen oder die Klaviertasten gewählt; aber
der Genius thats nicht: das Gefühl für Malerei
entwickelt sich wie der Geschmack sehr spät und be¬
darf also der Nachhülfe der Erziehung. Es ist der
frühesten Entwicklung werth, weil es das Gitter
wegnimmt, das uns von der schönen Natur ab¬
sondert, weil es die phantasirende Seele wieder
unter die äußern Dinge hinaustreibt und weil es
das deutsche Auge zur schweren Kunst abrichtet,
schöne Formen zu fassen. Die Musik hingegen
trift schon im jüngsten Herzen (wie bei den wilde¬
sten Völkern) nachtönende Saiten an; ja ihre All¬
macht büßet vielmehr durch Uebung und Jahre ein.
Gustav lernte deswegen als Taubstummer in seiner
taubstummen Höle so gut zeichnen, daß ihm schon
in seinem dreizehnten Jahre sein Hofmeister saß.

macher, die Zeichnung jeder Geſchichte und um¬
bauete den Kleinen mit dieſem orbis pictus guter
Menſchen wie der allmaͤchtige Genius uns mit der
großen Natur. Aber er gab ihm die Zeichnung
nie vor ſondern nach der Beſchreibung, weil Kin¬
der das Hoͤren zum Sehen ſtaͤrker zieht als das
Sehen zum Hoͤren. Ein anderer haͤtte zu dieſem
paͤdagogiſchen Hebebaum ſtatt der Reisfedern den
Fidelbogen oder die Klaviertaſten gewaͤhlt; aber
der Genius thats nicht: das Gefuͤhl fuͤr Malerei
entwickelt ſich wie der Geſchmack ſehr ſpaͤt und be¬
darf alſo der Nachhuͤlfe der Erziehung. Es iſt der
fruͤheſten Entwicklung werth, weil es das Gitter
wegnimmt, das uns von der ſchoͤnen Natur ab¬
ſondert, weil es die phantaſirende Seele wieder
unter die aͤußern Dinge hinaustreibt und weil es
das deutſche Auge zur ſchweren Kunſt abrichtet,
ſchoͤne Formen zu faſſen. Die Muſik hingegen
trift ſchon im juͤngſten Herzen (wie bei den wilde¬
ſten Voͤlkern) nachtoͤnende Saiten an; ja ihre All¬
macht buͤßet vielmehr durch Uebung und Jahre ein.
Guſtav lernte deswegen als Taubſtummer in ſeiner
taubſtummen Hoͤle ſo gut zeichnen, daß ihm ſchon
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[45/0081] macher, die Zeichnung jeder Geſchichte und um¬ bauete den Kleinen mit dieſem orbis pictus guter Menſchen wie der allmaͤchtige Genius uns mit der großen Natur. Aber er gab ihm die Zeichnung nie vor ſondern nach der Beſchreibung, weil Kin¬ der das Hoͤren zum Sehen ſtaͤrker zieht als das Sehen zum Hoͤren. Ein anderer haͤtte zu dieſem paͤdagogiſchen Hebebaum ſtatt der Reisfedern den Fidelbogen oder die Klaviertaſten gewaͤhlt; aber der Genius thats nicht: das Gefuͤhl fuͤr Malerei entwickelt ſich wie der Geſchmack ſehr ſpaͤt und be¬ darf alſo der Nachhuͤlfe der Erziehung. Es iſt der fruͤheſten Entwicklung werth, weil es das Gitter wegnimmt, das uns von der ſchoͤnen Natur ab¬ ſondert, weil es die phantaſirende Seele wieder unter die aͤußern Dinge hinaustreibt und weil es das deutſche Auge zur ſchweren Kunſt abrichtet, ſchoͤne Formen zu faſſen. Die Muſik hingegen trift ſchon im juͤngſten Herzen (wie bei den wilde¬ ſten Voͤlkern) nachtoͤnende Saiten an; ja ihre All¬ macht buͤßet vielmehr durch Uebung und Jahre ein. Guſtav lernte deswegen als Taubſtummer in ſeiner taubſtummen Hoͤle ſo gut zeichnen, daß ihm ſchon in ſeinem dreizehnten Jahre ſein Hofmeiſter ſaß.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/81>, abgerufen am 11.12.2024.