auf, wie Ameisen ihre Puppen den Brütflügeln der Sonne unterlegen. Warlich wär' ich der zwei¬ te oder dritte Chodowiecky: so ständ' ich jezt auf und stäche zu meinem eignen Buche die Szene in schwedisches Kupfer, nicht blos wie unser heraus¬ getragner blasrother Liebling unter seiner Binde in einem gegitterten Rosenschatten schlummert und ähnlich einem gestorbenen Engel, im unendlichen Tempel der Natur stille mit kleinen Träumen sei¬ ner kleinen Höhle vor uns liegt -- es giebt noch etwas schöners, Du hast Deine Eltern noch, Gu¬ stav, und siehst sie nicht: Deinen Vater, der mit dem von der Liebe verdunkelten Auge neben Dir steht, und sich freuet über den reinern Athem, der die kleine Brust beweget, und darüber vergis¬ set, wie Du erzogen wirst -- und Deine Mutter, die an Dein Angesicht, dessen Unschuld vielleicht kein anderes wiedersieht, die liebhungrigen Lippen presset, die ungesättigt bleiben, weil sie nicht reden und nicht schmeicheln dürfen . . . Aber sie drückt dich aus deinem Schlummer heraus und du must nach einer kurzen Zeit wieder in deine Platos Höle hinunter.
Der
auf, wie Ameiſen ihre Puppen den Bruͤtfluͤgeln der Sonne unterlegen. Warlich waͤr' ich der zwei¬ te oder dritte Chodowiecky: ſo ſtaͤnd' ich jezt auf und ſtaͤche zu meinem eignen Buche die Szene in ſchwediſches Kupfer, nicht blos wie unſer heraus¬ getragner blasrother Liebling unter ſeiner Binde in einem gegitterten Roſenſchatten ſchlummert und aͤhnlich einem geſtorbenen Engel, im unendlichen Tempel der Natur ſtille mit kleinen Traͤumen ſei¬ ner kleinen Hoͤhle vor uns liegt — es giebt noch etwas ſchoͤners, Du haſt Deine Eltern noch, Gu¬ ſtav, und ſiehſt ſie nicht: Deinen Vater, der mit dem von der Liebe verdunkelten Auge neben Dir ſteht, und ſich freuet uͤber den reinern Athem, der die kleine Bruſt beweget, und daruͤber vergiſ¬ ſet, wie Du erzogen wirſt — und Deine Mutter, die an Dein Angeſicht, deſſen Unſchuld vielleicht kein anderes wiederſieht, die liebhungrigen Lippen preſſet, die ungeſaͤttigt bleiben, weil ſie nicht reden und nicht ſchmeicheln duͤrfen . . . Aber ſie druͤckt dich aus deinem Schlummer heraus und du muſt nach einer kurzen Zeit wieder in deine Platos Hoͤle hinunter.
Der
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auf, wie Ameiſen ihre Puppen den Bruͤtfluͤgeln
der Sonne unterlegen. Warlich waͤr' ich der zwei¬
te oder dritte Chodowiecky: ſo ſtaͤnd' ich jezt auf
und ſtaͤche zu meinem eignen Buche die Szene in
ſchwediſches Kupfer, nicht blos wie unſer heraus¬
getragner blasrother Liebling unter ſeiner Binde
in einem gegitterten Roſenſchatten ſchlummert und
aͤhnlich einem geſtorbenen Engel, im unendlichen
Tempel der Natur ſtille mit kleinen Traͤumen ſei¬
ner kleinen Hoͤhle vor uns liegt — es giebt noch
etwas ſchoͤners, Du haſt Deine Eltern noch, Gu¬
ſtav, und ſiehſt ſie nicht: Deinen Vater, der
mit dem von der Liebe verdunkelten Auge neben
Dir ſteht, und ſich freuet uͤber den reinern Athem,
der die kleine Bruſt beweget, und daruͤber vergiſ¬
ſet, wie Du erzogen wirſt — und Deine Mutter,
die an Dein Angeſicht, deſſen Unſchuld vielleicht
kein anderes wieder ſieht, die liebhungrigen
Lippen preſſet, die ungeſaͤttigt bleiben, weil ſie
nicht reden und nicht ſchmeicheln duͤrfen . . . Aber
ſie druͤckt dich aus deinem Schlummer heraus
und du muſt nach einer kurzen Zeit wieder in deine
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/84>, abgerufen am 11.12.2024.
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