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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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sen. Der Officier, der auf dem Schlachtfeld --
dem Fleischhacker-Stock der Menschheit -- über die
zerbrochnen Menschen wegschreitet, denkt bloß an
die Evolutionen und Viertels-Schwenkungen seiner
Kadettenschule, die nöthig waren, ganze Genera¬
tionen in physiognomische Fragmente auszuschnei¬
den. Der Bataillenmahler, der hinter ihm geht,
denkt und sieht zwar auf die zerlegten Menschen
und auf jede daliegende Wunde; aber er will al¬
les für die Düsseldorfer Gallerie nachkopieren, und
das reine Menschen-Gefühl dieses Jammers weckt
er erst durch sein Schlachtstück bei andern und wohl
auch bei -- sich. -- So zieht jede Erkenntniß ei¬
ne Stein-Kruste über unser Herz, die philosophi¬
sche nicht allein. --

Beata opferte fast ihre Augen dem Antheil
auf, den sie an niemand anderem (wie sie dachte)
nahm als an dem Hingeschiednen. Ihre schmerzen¬
den Augen waren oft nach dem Eremitenberg ge¬
richtet, abends besuchte sie ihn selbst und brachte
dem Schlafenden das Letzte was die Freundschaft
dann noch zu geben hat, im Uebermaaß. So drin¬
gen also die Griffe des Unglücks in weiche Herzen
am tiefsten; so sind, die Thränen, die der Mensch

ſen. Der Officier, der auf dem Schlachtfeld —
dem Fleiſchhacker-Stock der Menſchheit — uͤber die
zerbrochnen Menſchen wegſchreitet, denkt bloß an
die Evolutionen und Viertels-Schwenkungen ſeiner
Kadettenſchule, die noͤthig waren, ganze Genera¬
tionen in phyſiognomiſche Fragmente auszuſchnei¬
den. Der Bataillenmahler, der hinter ihm geht,
denkt und ſieht zwar auf die zerlegten Menſchen
und auf jede daliegende Wunde; aber er will al¬
les fuͤr die Duͤſſeldorfer Gallerie nachkopieren, und
das reine Menſchen-Gefuͤhl dieſes Jammers weckt
er erſt durch ſein Schlachtſtuͤck bei andern und wohl
auch bei — ſich. — So zieht jede Erkenntniß ei¬
ne Stein-Kruſte uͤber unſer Herz, die philoſophi¬
ſche nicht allein. —

Beata opferte faſt ihre Augen dem Antheil
auf, den ſie an niemand anderem (wie ſie dachte)
nahm als an dem Hingeſchiednen. Ihre ſchmerzen¬
den Augen waren oft nach dem Eremitenberg ge¬
richtet, abends beſuchte ſie ihn ſelbſt und brachte
dem Schlafenden das Letzte was die Freundſchaft
dann noch zu geben hat, im Uebermaaß. So drin¬
gen alſo die Griffe des Ungluͤcks in weiche Herzen
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[111/0121] ſen. Der Officier, der auf dem Schlachtfeld — dem Fleiſchhacker-Stock der Menſchheit — uͤber die zerbrochnen Menſchen wegſchreitet, denkt bloß an die Evolutionen und Viertels-Schwenkungen ſeiner Kadettenſchule, die noͤthig waren, ganze Genera¬ tionen in phyſiognomiſche Fragmente auszuſchnei¬ den. Der Bataillenmahler, der hinter ihm geht, denkt und ſieht zwar auf die zerlegten Menſchen und auf jede daliegende Wunde; aber er will al¬ les fuͤr die Duͤſſeldorfer Gallerie nachkopieren, und das reine Menſchen-Gefuͤhl dieſes Jammers weckt er erſt durch ſein Schlachtſtuͤck bei andern und wohl auch bei — ſich. — So zieht jede Erkenntniß ei¬ ne Stein-Kruſte uͤber unſer Herz, die philoſophi¬ ſche nicht allein. — Beata opferte faſt ihre Augen dem Antheil auf, den ſie an niemand anderem (wie ſie dachte) nahm als an dem Hingeſchiednen. Ihre ſchmerzen¬ den Augen waren oft nach dem Eremitenberg ge¬ richtet, abends beſuchte ſie ihn ſelbſt und brachte dem Schlafenden das Letzte was die Freundſchaft dann noch zu geben hat, im Uebermaaß. So drin¬ gen alſo die Griffe des Ungluͤcks in weiche Herzen am tiefſten; ſo ſind, die Thraͤnen, die der Menſch

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/121>, abgerufen am 21.11.2024.