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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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fakt im guten Sinne und unter ihren festen Thei¬
len
der erste ist und das recht schön verräth, daß sie
sich an die Unsterblichkeit der Seele halten und daß
sie, wenn sie einen von den Ihrigen begraben lassen,
nicht zu Hause sind.

Auf einmal legte sich der Doktor auf das Pult
des Beichtstuhls nieder und bedeckte das Gesicht; er
stand wieder auf und sah mit einem Auge, daß er
nicht abtrocknen konnte, nach dem aufgedeckten
Leichnam hin und suchte vergeblich zu sehen. Gu¬
stav schauete auch hin und die Gestalt war ihm be¬
kannt, aber kein Name, um den er vergeblich den
sprachlosen Doktor fragte -- endlich nennte der Pa¬
stor den Namen. Ich brauch' es nicht erst in Dop¬
pel-Fraktur zu sagen, daß der Todte, auf dem
jezt so viele harte Augen und ein Paar trostlose ruh¬
ten, so aussah wie der Schauspieler Reinecke, des¬
sen edle Bildung jezt auch der schwere Grabstein aus¬
einander drückt -- ich hab' es nicht nöthig, dem Pa¬
stor den Namen Ottomar nachzusprechen. Der
arme Doktor schien seit einiger Zeit bestimmt zu
seyn, daß der Schmerz seine Nerven zu einem Ner¬
ven-Präparat
herauslösete und sich daran üb¬
te. Sonderbar wars, das Gustav nicht am ge¬

fakt im guten Sinne und unter ihren feſten Thei¬
len
der erſte iſt und das recht ſchoͤn verraͤth, daß ſie
ſich an die Unſterblichkeit der Seele halten und daß
ſie, wenn ſie einen von den Ihrigen begraben laſſen,
nicht zu Hauſe ſind.

Auf einmal legte ſich der Doktor auf das Pult
des Beichtſtuhls nieder und bedeckte das Geſicht; er
ſtand wieder auf und ſah mit einem Auge, daß er
nicht abtrocknen konnte, nach dem aufgedeckten
Leichnam hin und ſuchte vergeblich zu ſehen. Gu¬
ſtav ſchauete auch hin und die Geſtalt war ihm be¬
kannt, aber kein Name, um den er vergeblich den
ſprachloſen Doktor fragte — endlich nennte der Pa¬
ſtor den Namen. Ich brauch' es nicht erſt in Dop¬
pel-Fraktur zu ſagen, daß der Todte, auf dem
jezt ſo viele harte Augen und ein Paar troſtloſe ruh¬
ten, ſo ausſah wie der Schauſpieler Reinecke, deſ¬
ſen edle Bildung jezt auch der ſchwere Grabſtein aus¬
einander druͤckt — ich hab' es nicht noͤthig, dem Pa¬
ſtor den Namen Ottomar nachzuſprechen. Der
arme Doktor ſchien ſeit einiger Zeit beſtimmt zu
ſeyn, daß der Schmerz ſeine Nerven zu einem Ner¬
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[114/0124] fakt im guten Sinne und unter ihren feſten Thei¬ len der erſte iſt und das recht ſchoͤn verraͤth, daß ſie ſich an die Unſterblichkeit der Seele halten und daß ſie, wenn ſie einen von den Ihrigen begraben laſſen, nicht zu Hauſe ſind. Auf einmal legte ſich der Doktor auf das Pult des Beichtſtuhls nieder und bedeckte das Geſicht; er ſtand wieder auf und ſah mit einem Auge, daß er nicht abtrocknen konnte, nach dem aufgedeckten Leichnam hin und ſuchte vergeblich zu ſehen. Gu¬ ſtav ſchauete auch hin und die Geſtalt war ihm be¬ kannt, aber kein Name, um den er vergeblich den ſprachloſen Doktor fragte — endlich nennte der Pa¬ ſtor den Namen. Ich brauch' es nicht erſt in Dop¬ pel-Fraktur zu ſagen, daß der Todte, auf dem jezt ſo viele harte Augen und ein Paar troſtloſe ruh¬ ten, ſo ausſah wie der Schauſpieler Reinecke, deſ¬ ſen edle Bildung jezt auch der ſchwere Grabſtein aus¬ einander druͤckt — ich hab' es nicht noͤthig, dem Pa¬ ſtor den Namen Ottomar nachzuſprechen. Der arme Doktor ſchien ſeit einiger Zeit beſtimmt zu ſeyn, daß der Schmerz ſeine Nerven zu einem Ner¬ ven-Praͤparat herausloͤſete und ſich daran uͤb¬ te. Sonderbar wars, das Guſtav nicht am ge¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/124>, abgerufen am 24.11.2024.