Beaten schwamm wie allemal das Freudenöhl dünn auf dem Thränenwasser: ein vor ihr stehendes Lei¬ den sah sie mit trocknen festen Blicken an, aber kein erinnertes und keine vor ihr stehende Freude. Sie hat jetzt kaum den Muth zu reden, kaum den Muth, sich zu erinnern, kaum den Muth, ent¬ zückt zu seyn. Zu ihm hob sie das scheue Auge nur hinauf, wenn der Mond, der über eine durch¬ brochne Treppe von Wolken stieg, hinter einem weissen Wölkchen verschattet stand. Aber als eine dickere Wolke den Mond-Torso begrub: so endig¬ ten sie den schönsten Tag ihres Lebens und unter ihrer Trennung fühlten sie, daß es für sie keine andre gebe. --
Im einsamen Zimmer konnte Beata nicht den¬ ken, nicht empfinden, nicht sich erinnern: sie er¬ fuhr was Freudenthränen sind; sie ließ sie strömen und als sie sie endlich stillen wollte, konnte sie nicht und als der Schlaf kam, ihre Augen zu ver¬ schließen, lagen sie schon unter himmlischen Tro¬ pfen bedeckt. -- --
Ihr unschuldigen Seelen zu euch kann ich bes¬ ser wie zu Verstorbnen sagen: schlaft sanft! Ge¬ meiniglich gefallen uns, nämlich mir und dem Le¬
2. Theil. I
Beaten ſchwamm wie allemal das Freudenoͤhl duͤnn auf dem Thraͤnenwaſſer: ein vor ihr ſtehendes Lei¬ den ſah ſie mit trocknen feſten Blicken an, aber kein erinnertes und keine vor ihr ſtehende Freude. Sie hat jetzt kaum den Muth zu reden, kaum den Muth, ſich zu erinnern, kaum den Muth, ent¬ zuͤckt zu ſeyn. Zu ihm hob ſie das ſcheue Auge nur hinauf, wenn der Mond, der uͤber eine durch¬ brochne Treppe von Wolken ſtieg, hinter einem weiſſen Woͤlkchen verſchattet ſtand. Aber als eine dickere Wolke den Mond-Torſo begrub: ſo endig¬ ten ſie den ſchoͤnſten Tag ihres Lebens und unter ihrer Trennung fuͤhlten ſie, daß es fuͤr ſie keine andre gebe. —
Im einſamen Zimmer konnte Beata nicht den¬ ken, nicht empfinden, nicht ſich erinnern: ſie er¬ fuhr was Freudenthraͤnen ſind; ſie ließ ſie ſtroͤmen und als ſie ſie endlich ſtillen wollte, konnte ſie nicht und als der Schlaf kam, ihre Augen zu ver¬ ſchließen, lagen ſie ſchon unter himmliſchen Tro¬ pfen bedeckt. — —
Ihr unſchuldigen Seelen zu euch kann ich beſ¬ ſer wie zu Verſtorbnen ſagen: ſchlaft ſanft! Ge¬ meiniglich gefallen uns, naͤmlich mir und dem Le¬
2. Theil. I
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Beaten ſchwamm wie allemal das Freudenoͤhl duͤnn
auf dem Thraͤnenwaſſer: ein vor ihr ſtehendes Lei¬
den ſah ſie mit trocknen feſten Blicken an, aber
kein erinnertes und keine vor ihr ſtehende Freude.
Sie hat jetzt kaum den Muth zu reden, kaum den
Muth, ſich zu erinnern, kaum den Muth, ent¬
zuͤckt zu ſeyn. Zu ihm hob ſie das ſcheue Auge nur
hinauf, wenn der Mond, der uͤber eine durch¬
brochne Treppe von Wolken ſtieg, hinter einem
weiſſen Woͤlkchen verſchattet ſtand. Aber als eine
dickere Wolke den Mond-Torſo begrub: ſo endig¬
ten ſie den ſchoͤnſten Tag ihres Lebens und unter
ihrer Trennung fuͤhlten ſie, daß es fuͤr ſie keine
andre gebe. —
Im einſamen Zimmer konnte Beata nicht den¬
ken, nicht empfinden, nicht ſich erinnern: ſie er¬
fuhr was Freudenthraͤnen ſind; ſie ließ ſie ſtroͤmen
und als ſie ſie endlich ſtillen wollte, konnte ſie
nicht und als der Schlaf kam, ihre Augen zu ver¬
ſchließen, lagen ſie ſchon unter himmliſchen Tro¬
pfen bedeckt. — —
Ihr unſchuldigen Seelen zu euch kann ich beſ¬
ſer wie zu Verſtorbnen ſagen: ſchlaft ſanft! Ge¬
meiniglich gefallen uns, naͤmlich mir und dem Le¬
2. Theil. I
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/139>, abgerufen am 21.11.2024.
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