beugt sich an seine Erde wieder. -- "O ihr abge¬ schiedenen Lieben, dacht' ich, ihr wäret mir nicht zu groß, erscheinet mir, hebt das Gefühl der Nichtigkeit von meinem Herzen ab und zeigt mir die ewige Brust, die ich lieben, die mich wärmen kann." Von ungefehr sah ich meinen armen Hund, der mich anschauete; und dieser rührte mich mit seinem noch kürzern, noch dumpfern Leben so, daß ich bis zu Thränen weich wurde und mich nach etwas sehnte, womit ich sie vermehrte und stillte.
Das war die Orgel über mir. Ich gieng zu ihr wie zu einer löschenden Quelle hinauf. Und als ich mit ihren großen Tönen die nächtliche Kir¬ che und die tauben Todten erschütterte und als der alte Staub um mich flog, der auf ihren stum¬ men Lippen bisher gelegen war: so giengen alle vergängliche Menschen, die ich geliebt hatte, nebst ihren vergänglichen Scenen vorüber, du kamest und Mailand und das stille Land, ich erzählte ih¬ nen mit Orgeltönen was zu einer bloßen Erzählung geworden war, ich liebte sie alle im Fluge des Le¬ bens noch einmal und wollte vor Liebe an ihnen sterben und in ihre Hand meine Seele drücken -- aber nur Holztasten waren unter meiner drückenden
beugt ſich an ſeine Erde wieder. — „O ihr abge¬ ſchiedenen Lieben, dacht' ich, ihr waͤret mir nicht zu groß, erſcheinet mir, hebt das Gefuͤhl der Nichtigkeit von meinem Herzen ab und zeigt mir die ewige Bruſt, die ich lieben, die mich waͤrmen kann.“ Von ungefehr ſah ich meinen armen Hund, der mich anſchauete; und dieſer ruͤhrte mich mit ſeinem noch kuͤrzern, noch dumpfern Leben ſo, daß ich bis zu Thraͤnen weich wurde und mich nach etwas ſehnte, womit ich ſie vermehrte und ſtillte.
Das war die Orgel uͤber mir. Ich gieng zu ihr wie zu einer loͤſchenden Quelle hinauf. Und als ich mit ihren großen Toͤnen die naͤchtliche Kir¬ che und die tauben Todten erſchuͤtterte und als der alte Staub um mich flog, der auf ihren ſtum¬ men Lippen bisher gelegen war: ſo giengen alle vergaͤngliche Menſchen, die ich geliebt hatte, nebſt ihren vergaͤnglichen Scenen voruͤber, du kameſt und Mailand und das ſtille Land, ich erzaͤhlte ih¬ nen mit Orgeltoͤnen was zu einer bloßen Erzaͤhlung geworden war, ich liebte ſie alle im Fluge des Le¬ bens noch einmal und wollte vor Liebe an ihnen ſterben und in ihre Hand meine Seele druͤcken — aber nur Holztaſten waren unter meiner druͤckenden
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beugt ſich an ſeine Erde wieder. — „O ihr abge¬
ſchiedenen Lieben, dacht' ich, ihr waͤret mir nicht
zu groß, erſcheinet mir, hebt das Gefuͤhl der
Nichtigkeit von meinem Herzen ab und zeigt mir
die ewige Bruſt, die ich lieben, die mich waͤrmen
kann.“ Von ungefehr ſah ich meinen armen Hund,
der mich anſchauete; und dieſer ruͤhrte mich mit
ſeinem noch kuͤrzern, noch dumpfern Leben ſo,
daß ich bis zu Thraͤnen weich wurde und mich nach
etwas ſehnte, womit ich ſie vermehrte und ſtillte.
Das war die Orgel uͤber mir. Ich gieng zu
ihr wie zu einer loͤſchenden Quelle hinauf. Und
als ich mit ihren großen Toͤnen die naͤchtliche Kir¬
che und die tauben Todten erſchuͤtterte und als
der alte Staub um mich flog, der auf ihren ſtum¬
men Lippen bisher gelegen war: ſo giengen alle
vergaͤngliche Menſchen, die ich geliebt hatte, nebſt
ihren vergaͤnglichen Scenen voruͤber, du kameſt
und Mailand und das ſtille Land, ich erzaͤhlte ih¬
nen mit Orgeltoͤnen was zu einer bloßen Erzaͤhlung
geworden war, ich liebte ſie alle im Fluge des Le¬
bens noch einmal und wollte vor Liebe an ihnen
ſterben und in ihre Hand meine Seele druͤcken —
aber nur Holztaſten waren unter meiner druͤckenden
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/152>, abgerufen am 24.11.2024.
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