Hand -- ich schlug immer wenigere Töne an, die um mich wie ein ziehender Strudel giengen -- end¬ lich legt' ich das Koralbuch auf einen tiefen Ton und zog die Bälge in einem fort, um nicht den stum¬ men Zwischenraum zwischen den Tönen auszustehen -- ein summender Ton strömte fort, wie wenn er hinter den Flügeln der Zeit hergienge, er trug alle meine Erinnerungen und Hofnungen und in seinen Wellen schwamm mein schlagendes Herz. . . Von jeher machte ein fortbebender Ton mich traurig.
Ich verließ meine Auferstehungsstätte und sah nach der weißen Pyramide des Eremitenberges, wo nichts auferstand und wo das Leben fester schlief, die Pyramide stand im Mondschimmer getaucht und mit mir gieng ein langer Wolkenschatten. Blätter und Bäume krümmte der Herbst; über die stachlichten Wiesenstoppeln wiegte sich die Blume nicht mehr, die im Maule des Viehs vergieng; die Schnecke sarg¬ te sich in ihr Haus und Bett mit Geifer ein; und als am Morgen sich die Erde mit vollgebluteten flek¬ kigen Wolken gegen die matte Sonne drehte: so fühlt' ich, daß ich meine vorige frohe Erde nicht mehr hatte, sondern daß ich sie auf immer in der Gruft gelassen, und die Menschen, die ich wieder
Hand — ich ſchlug immer wenigere Toͤne an, die um mich wie ein ziehender Strudel giengen — end¬ lich legt' ich das Koralbuch auf einen tiefen Ton und zog die Baͤlge in einem fort, um nicht den ſtum¬ men Zwiſchenraum zwiſchen den Toͤnen auszuſtehen — ein ſummender Ton ſtroͤmte fort, wie wenn er hinter den Fluͤgeln der Zeit hergienge, er trug alle meine Erinnerungen und Hofnungen und in ſeinen Wellen ſchwamm mein ſchlagendes Herz. . . Von jeher machte ein fortbebender Ton mich traurig.
Ich verließ meine Auferſtehungsſtaͤtte und ſah nach der weißen Pyramide des Eremitenberges, wo nichts auferſtand und wo das Leben feſter ſchlief, die Pyramide ſtand im Mondſchimmer getaucht und mit mir gieng ein langer Wolkenſchatten. Blaͤtter und Baͤume kruͤmmte der Herbſt; uͤber die ſtachlichten Wieſenſtoppeln wiegte ſich die Blume nicht mehr, die im Maule des Viehs vergieng; die Schnecke ſarg¬ te ſich in ihr Haus und Bett mit Geifer ein; und als am Morgen ſich die Erde mit vollgebluteten flek¬ kigen Wolken gegen die matte Sonne drehte: ſo fuͤhlt' ich, daß ich meine vorige frohe Erde nicht mehr hatte, ſondern daß ich ſie auf immer in der Gruft gelaſſen, und die Menſchen, die ich wieder
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0153"n="143"/>
Hand — ich ſchlug immer wenigere Toͤne an, die<lb/>
um mich wie ein ziehender Strudel giengen — end¬<lb/>
lich legt' ich das Koralbuch auf einen tiefen Ton<lb/>
und zog die Baͤlge in einem fort, um nicht den ſtum¬<lb/>
men Zwiſchenraum zwiſchen den Toͤnen auszuſtehen<lb/>— ein ſummender Ton ſtroͤmte fort, wie wenn er<lb/>
hinter den Fluͤgeln der Zeit hergienge, er trug alle<lb/>
meine Erinnerungen und Hofnungen und in ſeinen<lb/>
Wellen ſchwamm mein ſchlagendes Herz. . . Von<lb/>
jeher machte ein fortbebender Ton mich traurig.</p><lb/><p>Ich verließ meine Auferſtehungsſtaͤtte und ſah<lb/>
nach der weißen Pyramide des Eremitenberges, wo<lb/>
nichts auferſtand und wo das Leben feſter ſchlief, die<lb/>
Pyramide ſtand im Mondſchimmer getaucht und mit<lb/>
mir gieng ein langer Wolkenſchatten. Blaͤtter und<lb/>
Baͤume kruͤmmte der Herbſt; uͤber die ſtachlichten<lb/>
Wieſenſtoppeln wiegte ſich die Blume nicht mehr,<lb/>
die im Maule des Viehs vergieng; die Schnecke ſarg¬<lb/>
te ſich in ihr Haus und Bett mit Geifer ein; und<lb/>
als am Morgen ſich die Erde mit vollgebluteten flek¬<lb/>
kigen Wolken gegen die matte Sonne drehte:<lb/>ſo fuͤhlt' ich, daß ich meine vorige frohe Erde nicht<lb/>
mehr hatte, ſondern daß ich ſie auf immer in der<lb/>
Gruft gelaſſen, und die Menſchen, die ich wieder<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[143/0153]
Hand — ich ſchlug immer wenigere Toͤne an, die
um mich wie ein ziehender Strudel giengen — end¬
lich legt' ich das Koralbuch auf einen tiefen Ton
und zog die Baͤlge in einem fort, um nicht den ſtum¬
men Zwiſchenraum zwiſchen den Toͤnen auszuſtehen
— ein ſummender Ton ſtroͤmte fort, wie wenn er
hinter den Fluͤgeln der Zeit hergienge, er trug alle
meine Erinnerungen und Hofnungen und in ſeinen
Wellen ſchwamm mein ſchlagendes Herz. . . Von
jeher machte ein fortbebender Ton mich traurig.
Ich verließ meine Auferſtehungsſtaͤtte und ſah
nach der weißen Pyramide des Eremitenberges, wo
nichts auferſtand und wo das Leben feſter ſchlief, die
Pyramide ſtand im Mondſchimmer getaucht und mit
mir gieng ein langer Wolkenſchatten. Blaͤtter und
Baͤume kruͤmmte der Herbſt; uͤber die ſtachlichten
Wieſenſtoppeln wiegte ſich die Blume nicht mehr,
die im Maule des Viehs vergieng; die Schnecke ſarg¬
te ſich in ihr Haus und Bett mit Geifer ein; und
als am Morgen ſich die Erde mit vollgebluteten flek¬
kigen Wolken gegen die matte Sonne drehte:
ſo fuͤhlt' ich, daß ich meine vorige frohe Erde nicht
mehr hatte, ſondern daß ich ſie auf immer in der
Gruft gelaſſen, und die Menſchen, die ich wieder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/153>, abgerufen am 21.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.