Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

serer Körper das Eden und sich über polnischen
Koth, holländischen Sumpf und siberische Step¬
pen trägt. --

O ihr Wollüstlinge in Residenzstädten! wo
reicht euch die Gegenwart nur Eine solche Mi¬
nute, als hier die Vergangenheit meinem Paa¬
re ganze Tage vorsetzt? euch, deren harte Her¬
zen vom höchsten Feuer der Liebe, wie der De¬
mant vom Brennspiegel, nur verflüchtigt aber
nicht geschmolzen werden!

Aber wie Abendroth am Himmel so herumflies¬
set, daß es die Wolken des Morgenroths besäumt:
so war auf Beatens Wangen neben dem Roth der
Freude auch das der Schaamhaftigkeit -- wiewohl
nicht länger als bis seine Gestallt wie ein Engel
durch ihren Himmel flog. -- Beide sehnten sich,
einander zu sehen; beide fürchteten sich, von der
Residentin gesehen zu werden: die Entdeckung und
noch mehr die Beurtheilung ihrer Empfindungen
hätten sie gern gemieden. Es giebt einen gewissen
stechenden Blick der weiche Empfindungen (wie der
Sonnenblick das Alpen-Thierchen, Sure) zersetzt
und umbringt: die schönste Liebe schlägt ihre Blu¬
menblätter zusammen vor dem Gegenstande selbst
wie sollte sie den sengenden Hofblick ausdauern?

ſerer Koͤrper das Eden und ſich uͤber polniſchen
Koth, hollaͤndiſchen Sumpf und ſiberiſche Step¬
pen traͤgt. —

O ihr Wolluͤſtlinge in Reſidenzſtaͤdten! wo
reicht euch die Gegenwart nur Eine ſolche Mi¬
nute, als hier die Vergangenheit meinem Paa¬
re ganze Tage vorſetzt? euch, deren harte Her¬
zen vom hoͤchſten Feuer der Liebe, wie der De¬
mant vom Brennſpiegel, nur verfluͤchtigt aber
nicht geſchmolzen werden!

Aber wie Abendroth am Himmel ſo herumflieſ¬
ſet, daß es die Wolken des Morgenroths beſaͤumt:
ſo war auf Beatens Wangen neben dem Roth der
Freude auch das der Schaamhaftigkeit — wiewohl
nicht laͤnger als bis ſeine Geſtallt wie ein Engel
durch ihren Himmel flog. — Beide ſehnten ſich,
einander zu ſehen; beide fuͤrchteten ſich, von der
Reſidentin geſehen zu werden: die Entdeckung und
noch mehr die Beurtheilung ihrer Empfindungen
haͤtten ſie gern gemieden. Es giebt einen gewiſſen
ſtechenden Blick der weiche Empfindungen (wie der
Sonnenblick das Alpen-Thierchen, Sure) zerſetzt
und umbringt: die ſchoͤnſte Liebe ſchlaͤgt ihre Blu¬
menblaͤtter zuſammen vor dem Gegenſtande ſelbſt
wie ſollte ſie den ſengenden Hofblick ausdauern?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0162" n="152"/>
&#x017F;erer Ko&#x0364;rper das Eden und &#x017F;ich u&#x0364;ber polni&#x017F;chen<lb/>
Koth, holla&#x0364;ndi&#x017F;chen Sumpf und &#x017F;iberi&#x017F;che Step¬<lb/>
pen tra&#x0364;gt. &#x2014;</p><lb/>
          <p>O ihr Wollu&#x0364;&#x017F;tlinge in Re&#x017F;idenz&#x017F;ta&#x0364;dten! wo<lb/>
reicht euch die <hi rendition="#g">Gegenwart</hi> nur Eine &#x017F;olche Mi¬<lb/>
nute, als hier die <hi rendition="#g">Vergangenheit</hi> meinem Paa¬<lb/>
re ganze Tage vor&#x017F;etzt? euch, deren harte Her¬<lb/>
zen vom ho&#x0364;ch&#x017F;ten Feuer der Liebe, wie der De¬<lb/>
mant vom Brenn&#x017F;piegel, nur <hi rendition="#g">verflu&#x0364;chtigt</hi> aber<lb/>
nicht <hi rendition="#g">ge&#x017F;chmolzen</hi> werden!</p><lb/>
          <p>Aber wie Abendroth am Himmel &#x017F;o herumflie&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;et, daß es die Wolken des Morgenroths be&#x017F;a&#x0364;umt:<lb/>
&#x017F;o war auf Beatens Wangen neben dem Roth der<lb/>
Freude auch das der Schaamhaftigkeit &#x2014; wiewohl<lb/>
nicht la&#x0364;nger als bis &#x017F;eine Ge&#x017F;tallt wie ein Engel<lb/><choice><sic>dnrch</sic><corr>durch</corr></choice> ihren Himmel flog. &#x2014; Beide &#x017F;ehnten &#x017F;ich,<lb/>
einander zu &#x017F;ehen; beide fu&#x0364;rchteten &#x017F;ich, von der<lb/>
Re&#x017F;identin ge&#x017F;ehen zu werden: die Entdeckung und<lb/>
noch mehr die Beurtheilung ihrer Empfindungen<lb/>
ha&#x0364;tten &#x017F;ie gern gemieden. Es giebt einen gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;techenden Blick der weiche Empfindungen (wie der<lb/>
Sonnenblick das Alpen-Thierchen, Sure) zer&#x017F;etzt<lb/>
und umbringt: die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Liebe &#x017F;chla&#x0364;gt ihre Blu¬<lb/>
menbla&#x0364;tter zu&#x017F;ammen vor dem Gegen&#x017F;tande &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
wie &#x017F;ollte &#x017F;ie den &#x017F;engenden Hofblick ausdauern?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0162] ſerer Koͤrper das Eden und ſich uͤber polniſchen Koth, hollaͤndiſchen Sumpf und ſiberiſche Step¬ pen traͤgt. — O ihr Wolluͤſtlinge in Reſidenzſtaͤdten! wo reicht euch die Gegenwart nur Eine ſolche Mi¬ nute, als hier die Vergangenheit meinem Paa¬ re ganze Tage vorſetzt? euch, deren harte Her¬ zen vom hoͤchſten Feuer der Liebe, wie der De¬ mant vom Brennſpiegel, nur verfluͤchtigt aber nicht geſchmolzen werden! Aber wie Abendroth am Himmel ſo herumflieſ¬ ſet, daß es die Wolken des Morgenroths beſaͤumt: ſo war auf Beatens Wangen neben dem Roth der Freude auch das der Schaamhaftigkeit — wiewohl nicht laͤnger als bis ſeine Geſtallt wie ein Engel durch ihren Himmel flog. — Beide ſehnten ſich, einander zu ſehen; beide fuͤrchteten ſich, von der Reſidentin geſehen zu werden: die Entdeckung und noch mehr die Beurtheilung ihrer Empfindungen haͤtten ſie gern gemieden. Es giebt einen gewiſſen ſtechenden Blick der weiche Empfindungen (wie der Sonnenblick das Alpen-Thierchen, Sure) zerſetzt und umbringt: die ſchoͤnſte Liebe ſchlaͤgt ihre Blu¬ menblaͤtter zuſammen vor dem Gegenſtande ſelbſt wie ſollte ſie den ſengenden Hofblick ausdauern?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/162
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/162>, abgerufen am 24.11.2024.