die eines erhabenen Lieds *) auf einer Drehorgel dem Gehör eines Kanarienvogels vordrehte, der sie singen lernen sollte. "Ich krieg' schon viel, wenn er's pfeifen kann," sagte der winzige Organist. An ei¬ nen Baum gelehnt stand Ottomar der weiten Abend¬ röthe und diesen Abendtönen gegenüber; die Son¬ ne ausser ihm gieng, hinter einer bleifarbenen gros¬ sen Wolke in ihm, unter. Gustav mußte, eh' er ihn erreichte, vor einer dichten Nische und einem alten Gärtner darin vorbei, an dem ihn zweierlei wunderte, daß er ihm erstlich mit keinem Worte für seinen Gutenabend dankte und zweitens daß so ein alter vernünftiger Mann ein Kindergärtchen auf dem Schoße hatte und besah. Durch die Laube nahm er an einer Sonnenuhr eine Erhöhung wie ein Kindergrab und einen Regenbogen von Blumen wahr, der es umblühte und überlaubte: aus der Erhöhung lagen die Kleider eines Kindes so geordnet als wär' etwas drinnen und hätte sie an. Ottomar empfieng ihn mit einer Sanftheit, die
*) "Jüngling, den Bach der Zeit hinab schau' ich, in das Wellengrab des Lebens, hier versank etc." Der An¬ fang heisset eigentlich: Traurig ein Wandrer saß am Bach, sah den fliehenden Wellen nach. Volkslieder.
die eines erhabenen Lieds *) auf einer Drehorgel dem Gehoͤr eines Kanarienvogels vordrehte, der ſie ſingen lernen ſollte. „Ich krieg' ſchon viel, wenn er's pfeifen kann,“ ſagte der winzige Organiſt. An ei¬ nen Baum gelehnt ſtand Ottomar der weiten Abend¬ roͤthe und dieſen Abendtoͤnen gegenuͤber; die Son¬ ne auſſer ihm gieng, hinter einer bleifarbenen groſ¬ ſen Wolke in ihm, unter. Guſtav mußte, eh' er ihn erreichte, vor einer dichten Niſche und einem alten Gaͤrtner darin vorbei, an dem ihn zweierlei wunderte, daß er ihm erſtlich mit keinem Worte fuͤr ſeinen Gutenabend dankte und zweitens daß ſo ein alter vernuͤnftiger Mann ein Kindergaͤrtchen auf dem Schoße hatte und beſah. Durch die Laube nahm er an einer Sonnenuhr eine Erhoͤhung wie ein Kindergrab und einen Regenbogen von Blumen wahr, der es umbluͤhte und uͤberlaubte: aus der Erhoͤhung lagen die Kleider eines Kindes ſo geordnet als waͤr' etwas drinnen und haͤtte ſie an. Ottomar empfieng ihn mit einer Sanftheit, die
*) „Jüngling, den Bach der Zeit hinab ſchau' ich, in das Wellengrab des Lebens, hier verſank ꝛc.“ Der An¬ fang heiſſet eigentlich: Traurig ein Wandrer ſaß am Bach, ſah den fliehenden Wellen nach. Volkslieder.
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die eines erhabenen Lieds *) auf einer Drehorgel
dem Gehoͤr eines Kanarienvogels vordrehte, der ſie
ſingen lernen ſollte. „Ich krieg' ſchon viel, wenn
er's pfeifen kann,“ ſagte der winzige Organiſt. An ei¬
nen Baum gelehnt ſtand Ottomar der weiten Abend¬
roͤthe und dieſen Abendtoͤnen gegenuͤber; die Son¬
ne auſſer ihm gieng, hinter einer bleifarbenen groſ¬
ſen Wolke in ihm, unter. Guſtav mußte, eh' er
ihn erreichte, vor einer dichten Niſche und einem
alten Gaͤrtner darin vorbei, an dem ihn zweierlei
wunderte, daß er ihm erſtlich mit keinem Worte
fuͤr ſeinen Gutenabend dankte und zweitens daß ſo
ein alter vernuͤnftiger Mann ein Kindergaͤrtchen
auf dem Schoße hatte und beſah. Durch die Laube
nahm er an einer Sonnenuhr eine Erhoͤhung
wie ein Kindergrab und einen Regenbogen von
Blumen wahr, der es umbluͤhte und uͤberlaubte:
aus der Erhoͤhung lagen die Kleider eines Kindes ſo
geordnet als waͤr' etwas drinnen und haͤtte ſie an.
Ottomar empfieng ihn mit einer Sanftheit, die
*) „Jüngling, den Bach der Zeit hinab ſchau' ich, in das
Wellengrab des Lebens, hier verſank ꝛc.“ Der An¬
fang heiſſet eigentlich: Traurig ein Wandrer ſaß am Bach,
ſah den fliehenden Wellen nach. Volkslieder.
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/177>, abgerufen am 21.11.2024.
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