man nur in heftigen Karakteren in so unwidersteh¬ lichem Grade findet, und sagte mit erhaben-leiser Stimme: "er feiere den Todestag aller Jahrszei¬ ten und heute wäre des Nachsommers seiner." Sie kamen, indem sie ins Schloß giengen, vor dem Gärtner vorbei und er nahm den Hut nicht ab -- ferner vor dem leeren Kleid auf dem Grab und es lag noch unter den Blumen und vor dem Klavieri¬ sten, der noch das Lied spielte: Jüngling, den Bach der Zeit etc. Da wir das Feierliche nur in Büchern, selten im Leben finden: so wirkt es im letztern nachher desto stärker.
Man muß noch merken, daß in Ottomar der Ausdruck der stärksten Gefühle durch eine gewisse Sanftheit, womit sein Weltumgang und sein Al¬ ter sie brach, unwiderstehlich in den stillen Stru¬ del zog. Er öfnete -- Kinder waren die Lakaien -- ein Zimmer des dritten Stockwerks. Die Hauptsa¬ che waren nicht darin die Gemälde mit schwarzen Gründen und weissen Särgen, oder die Worte über den Särgen: "darin ist mein Vater, darin meine Mutter, darin meine Frühlinge," -- auch der sehr große gemalte Sarg nicht, worüber stand: "darin liegen sechs Jahrtausende mit allen ihren
man nur in heftigen Karakteren in ſo unwiderſteh¬ lichem Grade findet, und ſagte mit erhaben-leiſer Stimme: „er feiere den Todestag aller Jahrszei¬ ten und heute waͤre des Nachſommers ſeiner.“ Sie kamen, indem ſie ins Schloß giengen, vor dem Gaͤrtner vorbei und er nahm den Hut nicht ab — ferner vor dem leeren Kleid auf dem Grab und es lag noch unter den Blumen und vor dem Klavieri¬ ſten, der noch das Lied ſpielte: Juͤngling, den Bach der Zeit ꝛc. Da wir das Feierliche nur in Buͤchern, ſelten im Leben finden: ſo wirkt es im letztern nachher deſto ſtaͤrker.
Man muß noch merken, daß in Ottomar der Ausdruck der ſtaͤrkſten Gefuͤhle durch eine gewiſſe Sanftheit, womit ſein Weltumgang und ſein Al¬ ter ſie brach, unwiderſtehlich in den ſtillen Stru¬ del zog. Er oͤfnete — Kinder waren die Lakaien — ein Zimmer des dritten Stockwerks. Die Hauptſa¬ che waren nicht darin die Gemaͤlde mit ſchwarzen Gruͤnden und weiſſen Saͤrgen, oder die Worte uͤber den Saͤrgen: „darin iſt mein Vater, darin meine Mutter, darin meine Fruͤhlinge,“ — auch der ſehr große gemalte Sarg nicht, woruͤber ſtand: „darin liegen ſechs Jahrtauſende mit allen ihren
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man nur in heftigen Karakteren in ſo unwiderſteh¬
lichem Grade findet, und ſagte mit erhaben-leiſer
Stimme: „er feiere den Todestag aller Jahrszei¬
ten und heute waͤre des Nachſommers ſeiner.“ Sie
kamen, indem ſie ins Schloß giengen, vor dem
Gaͤrtner vorbei und er nahm den Hut nicht ab —
ferner vor dem leeren Kleid auf dem Grab und es
lag noch unter den Blumen und vor dem Klavieri¬
ſten, der noch das Lied ſpielte: Juͤngling, den
Bach der Zeit ꝛc. Da wir das Feierliche nur in
Buͤchern, ſelten im Leben finden: ſo wirkt es im
letztern nachher deſto ſtaͤrker.
Man muß noch merken, daß in Ottomar der
Ausdruck der ſtaͤrkſten Gefuͤhle durch eine gewiſſe
Sanftheit, womit ſein Weltumgang und ſein Al¬
ter ſie brach, unwiderſtehlich in den ſtillen Stru¬
del zog. Er oͤfnete — Kinder waren die Lakaien —
ein Zimmer des dritten Stockwerks. Die Hauptſa¬
che waren nicht darin die Gemaͤlde mit ſchwarzen
Gruͤnden und weiſſen Saͤrgen, oder die Worte uͤber
den Saͤrgen: „darin iſt mein Vater, darin meine
Mutter, darin meine Fruͤhlinge,“ — auch der
ſehr große gemalte Sarg nicht, woruͤber ſtand:
„darin liegen ſechs Jahrtauſende mit allen ihren
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/178>, abgerufen am 16.02.2025.
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