weil die Armuth an letzterer *) sich mit dem Reich¬ thum an ersterer verband, um sie in die Illusion zu ziehen, er sei von -- Lande und blos Henri. --
Dieses Feuer gehörte dazu, um ihr an der Stelle, wo er ihr die Brüderschaft aufkündigt, den wahren Liebesbrief zu geben -- sie faltete ihn zufolge ihrer Rolle auf -- unendlich schön hatt' er die sein ganzes Leben umschlingende Worte gesagt: "o doch, ich bin ja dein Bruder nicht" -- sie blick¬ te auf seinen Namen darin -- sie errieth es schon halb aus der Art der Uebergabe (denn sicher man¬ quierte noch kein Mädgen einer männlichen List, die sie zu vollenden hatte) -- aber es war ihr un¬ möglich, in eine verstellte Ohnmacht zu fallen -- denn eine wahre befiel sie -- die Ohnmacht über¬ schritt die Rolle ein wenig -- Gustav hielt alles für Spaß, die Ministerin auch und beneidete ihr die Gabe der Täuschung -- Henri weckte sie blos mit Mitteln, die ihm sein Rollen-Papier vor¬ schrieb, wieder auf und sie spielte in einer Ver¬ wirrung, die der Kampf aller Empfindungen, der
*) Nämlich bloß an konventioneller; denn es giebt eine ge¬ wisse bessere, von der nicht allemal jene, aber wohl alle¬ mal gebildete Güte des Herzens und Kopfes begleitet wird.
weil die Armuth an letzterer *) ſich mit dem Reich¬ thum an erſterer verband, um ſie in die Illuſion zu ziehen, er ſei von — Lande und blos Henri. —
Dieſes Feuer gehoͤrte dazu, um ihr an der Stelle, wo er ihr die Bruͤderſchaft aufkuͤndigt, den wahren Liebesbrief zu geben — ſie faltete ihn zufolge ihrer Rolle auf — unendlich ſchoͤn hatt' er die ſein ganzes Leben umſchlingende Worte geſagt: „o doch, ich bin ja dein Bruder nicht“ — ſie blick¬ te auf ſeinen Namen darin — ſie errieth es ſchon halb aus der Art der Uebergabe (denn ſicher man¬ quierte noch kein Maͤdgen einer maͤnnlichen Liſt, die ſie zu vollenden hatte) — aber es war ihr un¬ moͤglich, in eine verſtellte Ohnmacht zu fallen — denn eine wahre befiel ſie — die Ohnmacht uͤber¬ ſchritt die Rolle ein wenig — Guſtav hielt alles fuͤr Spaß, die Miniſterin auch und beneidete ihr die Gabe der Taͤuſchung — Henri weckte ſie blos mit Mitteln, die ihm ſein Rollen-Papier vor¬ ſchrieb, wieder auf und ſie ſpielte in einer Ver¬ wirrung, die der Kampf aller Empfindungen, der
*) Nämlich bloß an konventioneller; denn es giebt eine ge¬ wiſſe beſſere, von der nicht allemal jene, aber wohl alle¬ mal gebildete Güte des Herzens und Kopfes begleitet wird.
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[210/0220]
weil die Armuth an letzterer *) ſich mit dem Reich¬
thum an erſterer verband, um ſie in die Illuſion
zu ziehen, er ſei von — Lande und blos Henri. —
Dieſes Feuer gehoͤrte dazu, um ihr an der
Stelle, wo er ihr die Bruͤderſchaft aufkuͤndigt,
den wahren Liebesbrief zu geben — ſie faltete ihn
zufolge ihrer Rolle auf — unendlich ſchoͤn hatt' er
die ſein ganzes Leben umſchlingende Worte geſagt:
„o doch, ich bin ja dein Bruder nicht“ — ſie blick¬
te auf ſeinen Namen darin — ſie errieth es ſchon
halb aus der Art der Uebergabe (denn ſicher man¬
quierte noch kein Maͤdgen einer maͤnnlichen Liſt,
die ſie zu vollenden hatte) — aber es war ihr un¬
moͤglich, in eine verſtellte Ohnmacht zu fallen —
denn eine wahre befiel ſie — die Ohnmacht uͤber¬
ſchritt die Rolle ein wenig — Guſtav hielt alles
fuͤr Spaß, die Miniſterin auch und beneidete ihr
die Gabe der Taͤuſchung — Henri weckte ſie blos
mit Mitteln, die ihm ſein Rollen-Papier vor¬
ſchrieb, wieder auf und ſie ſpielte in einer Ver¬
wirrung, die der Kampf aller Empfindungen, der
*) Nämlich bloß an konventioneller; denn es giebt eine ge¬
wiſſe beſſere, von der nicht allemal jene, aber wohl alle¬
mal gebildete Güte des Herzens und Kopfes begleitet wird.
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/220>, abgerufen am 21.11.2024.
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