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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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se! hättest du ihr doch geglichen und wärest eine
Schwester geblieben! Aber -- du gabest mehr
als du bekamest und reizetest zum Nehmen --
du rissest ihn und dich in einen verfinsternsten Em¬
pfindungs-Orkan -- an deinem Busen verlor er
dein Gesicht -- dein Herz -- sein eignes -- und
als alle Sinne mit ihren ersten Kräften stürmten,
alles, alles . . . . .

Schutzgeist meines Gustavs! Du kannst ihn
nicht mehr retten; aber heil' ihn, wenn er ver¬
loren ist, wenn er verloren hat, alles, seine Tu¬
gend und seine Beata! Ziehe wie ich den trauri¬
gen Vorhang um seinen Fall und sage sogar zur
Seele, die so gut ist wie seine: "sei besser!"

Wir wollen zur Seele gehen, zu der ers sagt,
zu Beatens ihrer. Sie hütete ein Zimmer des fürst¬
lichen Schlosses und alle Lustparthien, alle Plats
und alle Touren ersetzte ihr ein einziger Brief. Im
ganzen Pallast war heute die kränklichste Seele die
glücklichste: denn ein Brief, den sie einsam lesen,
küssen, ohne innere und äussere Stürme ausgenies¬
sen
konnte, war ihrem zarten Auge lieber als die
Gegenwart des Gegenstandes, dessen Glühfeuer erst
durch eine Entfernung zur wehenden Wärme fiel:

seine

ſe! haͤtteſt du ihr doch geglichen und waͤreſt eine
Schweſter geblieben! Aber — du gabeſt mehr
als du bekameſt und reizeteſt zum Nehmen
du riſſeſt ihn und dich in einen verfinſternſten Em¬
pfindungs-Orkan — an deinem Buſen verlor er
dein Geſicht — dein Herz — ſein eignes — und
als alle Sinne mit ihren erſten Kraͤften ſtuͤrmten,
alles, alles . . . . .

Schutzgeiſt meines Guſtavs! Du kannſt ihn
nicht mehr retten; aber heil' ihn, wenn er ver¬
loren iſt, wenn er verloren hat, alles, ſeine Tu¬
gend und ſeine Beata! Ziehe wie ich den trauri¬
gen Vorhang um ſeinen Fall und ſage ſogar zur
Seele, die ſo gut iſt wie ſeine: „ſei beſſer!“

Wir wollen zur Seele gehen, zu der ers ſagt,
zu Beatens ihrer. Sie huͤtete ein Zimmer des fuͤrſt¬
lichen Schloſſes und alle Luſtparthien, alle Plats
und alle Touren erſetzte ihr ein einziger Brief. Im
ganzen Pallaſt war heute die kraͤnklichſte Seele die
gluͤcklichſte: denn ein Brief, den ſie einſam leſen,
kuͤſſen, ohne innere und aͤuſſere Stuͤrme ausgenieſ¬
ſen
konnte, war ihrem zarten Auge lieber als die
Gegenwart des Gegenſtandes, deſſen Gluͤhfeuer erſt
durch eine Entfernung zur wehenden Waͤrme fiel:

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[224/0234] ſe! haͤtteſt du ihr doch geglichen und waͤreſt eine Schweſter geblieben! Aber — du gabeſt mehr als du bekameſt und reizeteſt zum Nehmen — du riſſeſt ihn und dich in einen verfinſternſten Em¬ pfindungs-Orkan — an deinem Buſen verlor er dein Geſicht — dein Herz — ſein eignes — und als alle Sinne mit ihren erſten Kraͤften ſtuͤrmten, alles, alles . . . . . Schutzgeiſt meines Guſtavs! Du kannſt ihn nicht mehr retten; aber heil' ihn, wenn er ver¬ loren iſt, wenn er verloren hat, alles, ſeine Tu¬ gend und ſeine Beata! Ziehe wie ich den trauri¬ gen Vorhang um ſeinen Fall und ſage ſogar zur Seele, die ſo gut iſt wie ſeine: „ſei beſſer!“ Wir wollen zur Seele gehen, zu der ers ſagt, zu Beatens ihrer. Sie huͤtete ein Zimmer des fuͤrſt¬ lichen Schloſſes und alle Luſtparthien, alle Plats und alle Touren erſetzte ihr ein einziger Brief. Im ganzen Pallaſt war heute die kraͤnklichſte Seele die gluͤcklichſte: denn ein Brief, den ſie einſam leſen, kuͤſſen, ohne innere und aͤuſſere Stuͤrme ausgenieſ¬ ſen konnte, war ihrem zarten Auge lieber als die Gegenwart des Gegenſtandes, deſſen Gluͤhfeuer erſt durch eine Entfernung zur wehenden Waͤrme fiel: ſeine

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/234>, abgerufen am 24.11.2024.