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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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ich nicht das Herz habe, der Schöppenstuhl und die
letzte Instanz so vieler tausend Leser zu seyn --)
für die doppelte Verlegenheit und Betrübniß über
die Kälte, womit seine (angebliche) Schwester ihn
behandle, und über seine Familiengeschichte -- sie
hatte bisher in seinen Augen ein Sehnen gefunden,
das schönere Reize suchte als die übrigen Hof-Au¬
gen -- sie hatte den Morgen, wo er Amandus
Grab erbat, und die Augen voll Liebe, die er vor
ihr trocknete, in ihrem gefühlvollen Herzen aufbe¬
wahrt -- folglich goß sie den zärtlichsten Blick auf
seinen heissen -- zog die zärtlichste Stimme ihrer sym¬
pathetischen Brust aus ihren Lauten-Saiten -- woll¬
te zuhüllen ihr pochendes Herz -- und konnte nicht
einmal sein Schlagen verstecken -- und fiel, als er
die Bewegung des heftigsten Affektes machte, ver¬
loren, hingerissen, mit zitterndem Auge, mit
überwältigtem Herzen, mit irrender Seele und mit
dem einzigen großen langsamen tief heraufgeseufze¬
ten Laute: "Bruder!!" an -- ihn.

Er an sie!. . . Sie fühlte das erstemal in ih¬
rem Hofleben eine solche Umarmung; er das er¬
stemal eine empfangne: denn an Beatens rei¬
nem Herzen hatt' er ihre Arme nie gefühlt. O Bou¬

ich nicht das Herz habe, der Schoͤppenſtuhl und die
letzte Inſtanz ſo vieler tauſend Leſer zu ſeyn —)
fuͤr die doppelte Verlegenheit und Betruͤbniß uͤber
die Kaͤlte, womit ſeine (angebliche) Schweſter ihn
behandle, und uͤber ſeine Familiengeſchichte — ſie
hatte bisher in ſeinen Augen ein Sehnen gefunden,
das ſchoͤnere Reize ſuchte als die uͤbrigen Hof-Au¬
gen — ſie hatte den Morgen, wo er Amandus
Grab erbat, und die Augen voll Liebe, die er vor
ihr trocknete, in ihrem gefuͤhlvollen Herzen aufbe¬
wahrt — folglich goß ſie den zaͤrtlichſten Blick auf
ſeinen heiſſen — zog die zaͤrtlichſte Stimme ihrer ſym¬
pathetiſchen Bruſt aus ihren Lauten-Saiten — woll¬
te zuhuͤllen ihr pochendes Herz — und konnte nicht
einmal ſein Schlagen verſtecken — und fiel, als er
die Bewegung des heftigſten Affektes machte, ver¬
loren, hingeriſſen, mit zitterndem Auge, mit
uͤberwaͤltigtem Herzen, mit irrender Seele und mit
dem einzigen großen langſamen tief heraufgeſeufze¬
ten Laute: „Bruder!!” an — ihn.

Er an ſie!. . . Sie fuͤhlte das erſtemal in ih¬
rem Hofleben eine ſolche Umarmung; er das er¬
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[223/0233] ich nicht das Herz habe, der Schoͤppenſtuhl und die letzte Inſtanz ſo vieler tauſend Leſer zu ſeyn —) fuͤr die doppelte Verlegenheit und Betruͤbniß uͤber die Kaͤlte, womit ſeine (angebliche) Schweſter ihn behandle, und uͤber ſeine Familiengeſchichte — ſie hatte bisher in ſeinen Augen ein Sehnen gefunden, das ſchoͤnere Reize ſuchte als die uͤbrigen Hof-Au¬ gen — ſie hatte den Morgen, wo er Amandus Grab erbat, und die Augen voll Liebe, die er vor ihr trocknete, in ihrem gefuͤhlvollen Herzen aufbe¬ wahrt — folglich goß ſie den zaͤrtlichſten Blick auf ſeinen heiſſen — zog die zaͤrtlichſte Stimme ihrer ſym¬ pathetiſchen Bruſt aus ihren Lauten-Saiten — woll¬ te zuhuͤllen ihr pochendes Herz — und konnte nicht einmal ſein Schlagen verſtecken — und fiel, als er die Bewegung des heftigſten Affektes machte, ver¬ loren, hingeriſſen, mit zitterndem Auge, mit uͤberwaͤltigtem Herzen, mit irrender Seele und mit dem einzigen großen langſamen tief heraufgeſeufze¬ ten Laute: „Bruder!!” an — ihn. Er an ſie!. . . Sie fuͤhlte das erſtemal in ih¬ rem Hofleben eine ſolche Umarmung; er das er¬ ſtemal eine empfangne: denn an Beatens rei¬ nem Herzen hatt' er ihre Arme nie gefuͤhlt. O Bou¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/233>, abgerufen am 21.11.2024.