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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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die Unschuld nicht wie er, selber verliert sondern
fremde mordet, darf ich ihn durch euere Nachbar¬
schaft auf dem Papier besudeln? -- was werdet
ihr noch aus unserem Jahrhundert machen? -- Ihr
gekrönte, gestirnte, turnierfähige, infulierte Häm¬
linge! davon ist die Rede nicht und ich hab' es nie
getadelt, daß ihr aus euren Ständen die soge¬
nannte Tugend (d. h. den Schein davon,) die ein
so spröder Zusatz in euren weiblichen Metallen ist,
mit so viel Glasfeuer als ihr zusammen bringen
könnt heraus brennt und präzipitiert -- denn in
euren Ständen hat Verführung gar keinen Na¬
men mehr, keine Bedeutung, keine schlimme Fol¬
gen und ihr schadet da wenig oder nicht -- aber
in unsere mitlere Stände, auf unsere Lämmer
schießet ihr Greif- und Lämmergeier nicht herab:
bei uns seid ihr noch eine Epidemie (ich falle wie
ihr in eine Vermischung der Metaphern,) die mehr
wegreißet, weil sie neuer ist. Raubet und tödtet
da lieber alles andre als eine weibliche Tugend! --
nur in einem Jahrhundert wie unsers, wo man
alle schöne Gefühle stärkt, bloß das der Ehre
nicht
, kann man die weibliche, die bloß in Keusch¬
heit besteht, mit Füßen treten und wie der Wilde

die Unſchuld nicht wie er, ſelber verliert ſondern
fremde mordet, darf ich ihn durch euere Nachbar¬
ſchaft auf dem Papier beſudeln? — was werdet
ihr noch aus unſerem Jahrhundert machen? — Ihr
gekroͤnte, geſtirnte, turnierfaͤhige, infulierte Haͤm¬
linge! davon iſt die Rede nicht und ich hab' es nie
getadelt, daß ihr aus euren Staͤnden die ſoge¬
nannte Tugend (d. h. den Schein davon,) die ein
ſo ſproͤder Zuſatz in euren weiblichen Metallen iſt,
mit ſo viel Glasfeuer als ihr zuſammen bringen
koͤnnt heraus brennt und praͤzipitiert — denn in
euren Staͤnden hat Verfuͤhrung gar keinen Na¬
men mehr, keine Bedeutung, keine ſchlimme Fol¬
gen und ihr ſchadet da wenig oder nicht — aber
in unſere mitlere Staͤnde, auf unſere Laͤmmer
ſchießet ihr Greif- und Laͤmmergeier nicht herab:
bei uns ſeid ihr noch eine Epidemie (ich falle wie
ihr in eine Vermiſchung der Metaphern,) die mehr
wegreißet, weil ſie neuer iſt. Raubet und toͤdtet
da lieber alles andre als eine weibliche Tugend! —
nur in einem Jahrhundert wie unſers, wo man
alle ſchoͤne Gefuͤhle ſtaͤrkt, bloß das der Ehre
nicht
, kann man die weibliche, die bloß in Keuſch¬
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[234/0244] die Unſchuld nicht wie er, ſelber verliert ſondern fremde mordet, darf ich ihn durch euere Nachbar¬ ſchaft auf dem Papier beſudeln? — was werdet ihr noch aus unſerem Jahrhundert machen? — Ihr gekroͤnte, geſtirnte, turnierfaͤhige, infulierte Haͤm¬ linge! davon iſt die Rede nicht und ich hab' es nie getadelt, daß ihr aus euren Staͤnden die ſoge¬ nannte Tugend (d. h. den Schein davon,) die ein ſo ſproͤder Zuſatz in euren weiblichen Metallen iſt, mit ſo viel Glasfeuer als ihr zuſammen bringen koͤnnt heraus brennt und praͤzipitiert — denn in euren Staͤnden hat Verfuͤhrung gar keinen Na¬ men mehr, keine Bedeutung, keine ſchlimme Fol¬ gen und ihr ſchadet da wenig oder nicht — aber in unſere mitlere Staͤnde, auf unſere Laͤmmer ſchießet ihr Greif- und Laͤmmergeier nicht herab: bei uns ſeid ihr noch eine Epidemie (ich falle wie ihr in eine Vermiſchung der Metaphern,) die mehr wegreißet, weil ſie neuer iſt. Raubet und toͤdtet da lieber alles andre als eine weibliche Tugend! — nur in einem Jahrhundert wie unſers, wo man alle ſchoͤne Gefuͤhle ſtaͤrkt, bloß das der Ehre nicht, kann man die weibliche, die bloß in Keuſch¬ heit beſteht, mit Fuͤßen treten und wie der Wilde

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/244>, abgerufen am 21.11.2024.