die Unschuld nicht wie er, selber verliert sondern fremde mordet, darf ich ihn durch euere Nachbar¬ schaft auf dem Papier besudeln? -- was werdet ihr noch aus unserem Jahrhundert machen? -- Ihr gekrönte, gestirnte, turnierfähige, infulierte Häm¬ linge! davon ist die Rede nicht und ich hab' es nie getadelt, daß ihr aus euren Ständen die soge¬ nannte Tugend (d. h. den Schein davon,) die ein so spröder Zusatz in euren weiblichen Metallen ist, mit so viel Glasfeuer als ihr zusammen bringen könnt heraus brennt und präzipitiert -- denn in euren Ständen hat Verführung gar keinen Na¬ men mehr, keine Bedeutung, keine schlimme Fol¬ gen und ihr schadet da wenig oder nicht -- aber in unsere mitlere Stände, auf unsere Lämmer schießet ihr Greif- und Lämmergeier nicht herab: bei uns seid ihr noch eine Epidemie (ich falle wie ihr in eine Vermischung der Metaphern,) die mehr wegreißet, weil sie neuer ist. Raubet und tödtet da lieber alles andre als eine weibliche Tugend! -- nur in einem Jahrhundert wie unsers, wo man alle schöne Gefühle stärkt, bloß das der Ehre nicht, kann man die weibliche, die bloß in Keusch¬ heit besteht, mit Füßen treten und wie der Wilde
die Unſchuld nicht wie er, ſelber verliert ſondern fremde mordet, darf ich ihn durch euere Nachbar¬ ſchaft auf dem Papier beſudeln? — was werdet ihr noch aus unſerem Jahrhundert machen? — Ihr gekroͤnte, geſtirnte, turnierfaͤhige, infulierte Haͤm¬ linge! davon iſt die Rede nicht und ich hab' es nie getadelt, daß ihr aus euren Staͤnden die ſoge¬ nannte Tugend (d. h. den Schein davon,) die ein ſo ſproͤder Zuſatz in euren weiblichen Metallen iſt, mit ſo viel Glasfeuer als ihr zuſammen bringen koͤnnt heraus brennt und praͤzipitiert — denn in euren Staͤnden hat Verfuͤhrung gar keinen Na¬ men mehr, keine Bedeutung, keine ſchlimme Fol¬ gen und ihr ſchadet da wenig oder nicht — aber in unſere mitlere Staͤnde, auf unſere Laͤmmer ſchießet ihr Greif- und Laͤmmergeier nicht herab: bei uns ſeid ihr noch eine Epidemie (ich falle wie ihr in eine Vermiſchung der Metaphern,) die mehr wegreißet, weil ſie neuer iſt. Raubet und toͤdtet da lieber alles andre als eine weibliche Tugend! — nur in einem Jahrhundert wie unſers, wo man alle ſchoͤne Gefuͤhle ſtaͤrkt, bloß das der Ehre nicht, kann man die weibliche, die bloß in Keuſch¬ heit beſteht, mit Fuͤßen treten und wie der Wilde
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0244"n="234"/>
die Unſchuld nicht wie er, ſelber verliert ſondern<lb/>
fremde mordet, darf ich ihn durch euere Nachbar¬<lb/>ſchaft auf dem Papier beſudeln? — was werdet<lb/>
ihr noch aus unſerem Jahrhundert machen? — Ihr<lb/>
gekroͤnte, geſtirnte, turnierfaͤhige, infulierte Haͤm¬<lb/>
linge! davon iſt die Rede nicht und ich hab' es nie<lb/>
getadelt, daß ihr aus <hirendition="#g">euren</hi> Staͤnden die ſoge¬<lb/>
nannte Tugend (d. h. den Schein davon,) die ein<lb/>ſo ſproͤder Zuſatz in euren weiblichen Metallen iſt,<lb/>
mit ſo viel Glasfeuer als ihr zuſammen bringen<lb/>
koͤnnt heraus brennt und praͤzipitiert — denn in<lb/>
euren Staͤnden hat Verfuͤhrung gar keinen Na¬<lb/>
men mehr, keine Bedeutung, keine ſchlimme Fol¬<lb/>
gen und ihr ſchadet da wenig oder nicht — aber<lb/>
in unſere <hirendition="#g">mitlere</hi> Staͤnde, auf unſere Laͤmmer<lb/>ſchießet ihr Greif- und Laͤmmergeier nicht herab:<lb/>
bei uns ſeid ihr noch eine Epidemie (ich falle wie<lb/>
ihr in eine Vermiſchung der Metaphern,) die mehr<lb/>
wegreißet, weil ſie neuer iſt. Raubet und toͤdtet<lb/>
da lieber alles andre als eine weibliche Tugend! —<lb/>
nur in einem Jahrhundert wie unſers, wo man<lb/>
alle ſchoͤne Gefuͤhle ſtaͤrkt, bloß <hirendition="#g">das der Ehre<lb/>
nicht</hi>, kann man die weibliche, die bloß in Keuſch¬<lb/>
heit beſteht, mit Fuͤßen treten und wie der Wilde<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[234/0244]
die Unſchuld nicht wie er, ſelber verliert ſondern
fremde mordet, darf ich ihn durch euere Nachbar¬
ſchaft auf dem Papier beſudeln? — was werdet
ihr noch aus unſerem Jahrhundert machen? — Ihr
gekroͤnte, geſtirnte, turnierfaͤhige, infulierte Haͤm¬
linge! davon iſt die Rede nicht und ich hab' es nie
getadelt, daß ihr aus euren Staͤnden die ſoge¬
nannte Tugend (d. h. den Schein davon,) die ein
ſo ſproͤder Zuſatz in euren weiblichen Metallen iſt,
mit ſo viel Glasfeuer als ihr zuſammen bringen
koͤnnt heraus brennt und praͤzipitiert — denn in
euren Staͤnden hat Verfuͤhrung gar keinen Na¬
men mehr, keine Bedeutung, keine ſchlimme Fol¬
gen und ihr ſchadet da wenig oder nicht — aber
in unſere mitlere Staͤnde, auf unſere Laͤmmer
ſchießet ihr Greif- und Laͤmmergeier nicht herab:
bei uns ſeid ihr noch eine Epidemie (ich falle wie
ihr in eine Vermiſchung der Metaphern,) die mehr
wegreißet, weil ſie neuer iſt. Raubet und toͤdtet
da lieber alles andre als eine weibliche Tugend! —
nur in einem Jahrhundert wie unſers, wo man
alle ſchoͤne Gefuͤhle ſtaͤrkt, bloß das der Ehre
nicht, kann man die weibliche, die bloß in Keuſch¬
heit beſteht, mit Fuͤßen treten und wie der Wilde
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/244>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.