einen Baum auf immer umhauen, um ihm seine ersten und letzten Früchte zu nehmen. Der Raub einer weiblichen Ehre ist so viel als der Raub einer männlichen, d. h. du zerschlägst das Wappen eines höhern Adels, zerknickst den Degen, nimmst die Sporen ab, zerreißest den Adelsbrief und Stamm¬ baum; das, was der Henker am Manne thut, vollstreckest du an einem armen Geschöpfe das die¬ sen Henker liebt und bloß seine unverhältnismäßige Phantasie nicht bändigen kann. Abscheulich! -- und solcher Opfer, die die männlichen Hände mit einem ewigen Halseisen an die Unehre befestigt haben, stehen in den Gassen Wiens zwei tausend, in den Gassen von Paris dreißig tausend, in den Gassen von London funfzig tausend. -- -- Entsetzlich! To¬ des-Engel der Rache! zähle die Thränen nicht, die unser Geschlecht aus dem weiblichen Auge ausdrückt und brennend aufs schwache weibliche Herz wirft, messe die Seufzer und die Quaalen nicht, unter denen die Freuden-Mädgen verscheiden und an denen den eisernen Freuden-Mann nichts dauert als daß er sich an ein andres Bett, das kein Ster¬ bebette ist begeben muß!
einen Baum auf immer umhauen, um ihm ſeine erſten und letzten Fruͤchte zu nehmen. Der Raub einer weiblichen Ehre iſt ſo viel als der Raub einer maͤnnlichen, d. h. du zerſchlaͤgſt das Wappen eines hoͤhern Adels, zerknickſt den Degen, nimmſt die Sporen ab, zerreißeſt den Adelsbrief und Stamm¬ baum; das, was der Henker am Manne thut, vollſtreckeſt du an einem armen Geſchoͤpfe das die¬ ſen Henker liebt und bloß ſeine unverhaͤltnismaͤßige Phantaſie nicht baͤndigen kann. Abſcheulich! — und ſolcher Opfer, die die maͤnnlichen Haͤnde mit einem ewigen Halseiſen an die Unehre befeſtigt haben, ſtehen in den Gaſſen Wiens zwei tauſend, in den Gaſſen von Paris dreißig tauſend, in den Gaſſen von London funfzig tauſend. — — Entſetzlich! To¬ des-Engel der Rache! zaͤhle die Thraͤnen nicht, die unſer Geſchlecht aus dem weiblichen Auge ausdruͤckt und brennend aufs ſchwache weibliche Herz wirft, meſſe die Seufzer und die Quaalen nicht, unter denen die Freuden-Maͤdgen verſcheiden und an denen den eiſernen Freuden-Mann nichts dauert als daß er ſich an ein andres Bett, das kein Ster¬ bebette iſt begeben muß!
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einen Baum auf immer umhauen, um ihm ſeine
erſten und letzten Fruͤchte zu nehmen. Der Raub
einer weiblichen Ehre iſt ſo viel als der Raub einer
maͤnnlichen, d. h. du zerſchlaͤgſt das Wappen eines
hoͤhern Adels, zerknickſt den Degen, nimmſt die
Sporen ab, zerreißeſt den Adelsbrief und Stamm¬
baum; das, was der Henker am Manne thut,
vollſtreckeſt du an einem armen Geſchoͤpfe das die¬
ſen Henker liebt und bloß ſeine unverhaͤltnismaͤßige
Phantaſie nicht baͤndigen kann. Abſcheulich! — und
ſolcher Opfer, die die maͤnnlichen Haͤnde mit einem
ewigen Halseiſen an die Unehre befeſtigt haben,
ſtehen in den Gaſſen Wiens zwei tauſend, in den
Gaſſen von Paris dreißig tauſend, in den Gaſſen
von London funfzig tauſend. — — Entſetzlich! To¬
des-Engel der Rache! zaͤhle die Thraͤnen nicht, die
unſer Geſchlecht aus dem weiblichen Auge ausdruͤckt
und brennend aufs ſchwache weibliche Herz wirft,
meſſe die Seufzer und die Quaalen nicht, unter
denen die Freuden-Maͤdgen verſcheiden und an
denen den eiſernen Freuden-Mann nichts dauert
als daß er ſich an ein andres Bett, das kein Ster¬
bebette iſt begeben muß!
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/245>, abgerufen am 21.11.2024.
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