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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Wir traten endlich, ich an der Hand meiner
Schwester, Gustav an Beatens Hand, stiller,
voller, heiliger in unser kleines Lilienbad als wirs
am Morgen verlassen hatten. Gustav gieng zuerst
von mir und sagte, in fünf Tagen sehen wir uns
wieder. Beaten führt' er ihrer Hütte zu, die in
Lunens Silberflammen loderte. Die weisse Spitze
der Pyramide auf dem Eremitenberge schimmerte
tief entfernt über den langen grünenden Weg zum
Thal und durch die Nacht herüber -- neben dieser
Pyramide hatten sich die zwei Glücklichen ihre Her¬
zen zuerst gegeben, neben ihr ruhte ein Freund
von seinem Leben aus und ihre weisse Spitze zeigte
den Ort, wo sein Frühling schöner ist. -- Sie hör¬
ten die Blätter der Terrasse lispeln, und den Le¬
bensbaum, wo sie nach dem Untergang der Sonne
sich zum zweitenmal ihre Seelen gegeben hatten. . .
O ihr zwei Ueberseligen und Schuldlosen! jetzt
schöpft ein guter Seraph für euch eine Silber-Mi¬
nute aus dem Freuden-Meere, das in einer schö¬
nern Erde liegt -- auf diesem eilenden Tropfen
blinkt die ganze Perspektive des Edens, worin der
Engel ist; die Minute wird jetzt zu euch herunter
rinnen, aber ach so schnell wird sie vorüber ge¬
hen! --

Wir traten endlich, ich an der Hand meiner
Schweſter, Guſtav an Beatens Hand, ſtiller,
voller, heiliger in unſer kleines Lilienbad als wirs
am Morgen verlaſſen hatten. Guſtav gieng zuerſt
von mir und ſagte, in fuͤnf Tagen ſehen wir uns
wieder. Beaten fuͤhrt' er ihrer Huͤtte zu, die in
Lunens Silberflammen loderte. Die weiſſe Spitze
der Pyramide auf dem Eremitenberge ſchimmerte
tief entfernt uͤber den langen gruͤnenden Weg zum
Thal und durch die Nacht heruͤber — neben dieſer
Pyramide hatten ſich die zwei Gluͤcklichen ihre Her¬
zen zuerſt gegeben, neben ihr ruhte ein Freund
von ſeinem Leben aus und ihre weiſſe Spitze zeigte
den Ort, wo ſein Fruͤhling ſchoͤner iſt. — Sie hoͤr¬
ten die Blaͤtter der Terraſſe liſpeln, und den Le¬
bensbaum, wo ſie nach dem Untergang der Sonne
ſich zum zweitenmal ihre Seelen gegeben hatten. . .
O ihr zwei Ueberſeligen und Schuldloſen! jetzt
ſchoͤpft ein guter Seraph fuͤr euch eine Silber-Mi¬
nute aus dem Freuden-Meere, das in einer ſchoͤ¬
nern Erde liegt — auf dieſem eilenden Tropfen
blinkt die ganze Perſpektive des Edens, worin der
Engel iſt; die Minute wird jetzt zu euch herunter
rinnen, aber ach ſo ſchnell wird ſie voruͤber ge¬
hen! —

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[350/0360] Wir traten endlich, ich an der Hand meiner Schweſter, Guſtav an Beatens Hand, ſtiller, voller, heiliger in unſer kleines Lilienbad als wirs am Morgen verlaſſen hatten. Guſtav gieng zuerſt von mir und ſagte, in fuͤnf Tagen ſehen wir uns wieder. Beaten fuͤhrt' er ihrer Huͤtte zu, die in Lunens Silberflammen loderte. Die weiſſe Spitze der Pyramide auf dem Eremitenberge ſchimmerte tief entfernt uͤber den langen gruͤnenden Weg zum Thal und durch die Nacht heruͤber — neben dieſer Pyramide hatten ſich die zwei Gluͤcklichen ihre Her¬ zen zuerſt gegeben, neben ihr ruhte ein Freund von ſeinem Leben aus und ihre weiſſe Spitze zeigte den Ort, wo ſein Fruͤhling ſchoͤner iſt. — Sie hoͤr¬ ten die Blaͤtter der Terraſſe liſpeln, und den Le¬ bensbaum, wo ſie nach dem Untergang der Sonne ſich zum zweitenmal ihre Seelen gegeben hatten. . . O ihr zwei Ueberſeligen und Schuldloſen! jetzt ſchoͤpft ein guter Seraph fuͤr euch eine Silber-Mi¬ nute aus dem Freuden-Meere, das in einer ſchoͤ¬ nern Erde liegt — auf dieſem eilenden Tropfen blinkt die ganze Perſpektive des Edens, worin der Engel iſt; die Minute wird jetzt zu euch herunter rinnen, aber ach ſo ſchnell wird ſie voruͤber ge¬ hen! —

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/360>, abgerufen am 22.11.2024.