Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

nach der Abendkirche heim nach Auenthal und hat¬
te mit den Leuten in allen Gassen Mitleiden, daß
sie da bleiben mußten. Draussen dehnte sich seine
Brust mit dem aufgebaueten Himmel vor ihm aus
und halbtrunken im Konzertsaal aller Vögel horcht
er wollüstig bald auf die gefiederten Sopranisten
bald auf seine Phantasien. Um nur seine über die
Ufer schlagende Lebenskräfte abzuleiten, gallopirte
er oft eine halbe Viertelstunde lang. Da er im¬
mer kurz vor und nach Sonnen-Untergang ein ge¬
wisses wollüstiges trunknes Sehnen empfunden hat¬
te -- die Nacht aber macht wie ein längerer Tod
den Menschen erhaben und nimmt ihm die Erde: --
so zauderte er mit seiner Landung in Auenthal so
lang bis die zerfliessende Sonne durch die letzten
Kornfelder vor dem Dorfe mit Goldfäden die sie ge¬
rade über die Aehren zog, sein blaues Röckchen
stickte und bis sein Schatten an den Berg über
den Fluß wie ein Riese wandelte. Dann schwank¬
te er, unter dem wie aus der Vergangenheit her¬
überklingenden Abendläuten ins Dorf hinein und
war allen Menschen gut, selbst dem Präfektus.
Gieng er denn um seines Vaters Haus und sah
am obern Kapfenster den Widerschein des Monds

nach der Abendkirche heim nach Auenthal und hat¬
te mit den Leuten in allen Gaſſen Mitleiden, daß
ſie da bleiben mußten. Drauſſen dehnte ſich ſeine
Bruſt mit dem aufgebaueten Himmel vor ihm aus
und halbtrunken im Konzertſaal aller Voͤgel horcht
er wolluͤſtig bald auf die gefiederten Sopraniſten
bald auf ſeine Phantaſien. Um nur ſeine uͤber die
Ufer ſchlagende Lebenskraͤfte abzuleiten, gallopirte
er oft eine halbe Viertelſtunde lang. Da er im¬
mer kurz vor und nach Sonnen-Untergang ein ge¬
wiſſes wolluͤſtiges trunknes Sehnen empfunden hat¬
te — die Nacht aber macht wie ein laͤngerer Tod
den Menſchen erhaben und nimmt ihm die Erde: —
ſo zauderte er mit ſeiner Landung in Auenthal ſo
lang bis die zerflieſſende Sonne durch die letzten
Kornfelder vor dem Dorfe mit Goldfaͤden die ſie ge¬
rade uͤber die Aehren zog, ſein blaues Roͤckchen
ſtickte und bis ſein Schatten an den Berg uͤber
den Fluß wie ein Rieſe wandelte. Dann ſchwank¬
te er, unter dem wie aus der Vergangenheit her¬
uͤberklingenden Abendlaͤuten ins Dorf hinein und
war allen Menſchen gut, ſelbſt dem Praͤfektus.
Gieng er denn um ſeines Vaters Haus und ſah
am obern Kapfenſter den Widerſchein des Monds

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0402" n="392"/>
nach der Abendkirche <choice><sic>beim</sic><corr>heim</corr></choice> nach Auenthal und hat¬<lb/>
te mit den Leuten in allen Ga&#x017F;&#x017F;en Mitleiden, daß<lb/>
&#x017F;ie da bleiben mußten. Drau&#x017F;&#x017F;en dehnte &#x017F;ich &#x017F;eine<lb/>
Bru&#x017F;t mit dem aufgebaueten Himmel vor ihm aus<lb/>
und halbtrunken im Konzert&#x017F;aal aller Vo&#x0364;gel horcht<lb/>
er wollu&#x0364;&#x017F;tig bald auf die gefiederten Soprani&#x017F;ten<lb/>
bald auf &#x017F;eine Phanta&#x017F;ien. Um nur &#x017F;eine u&#x0364;ber die<lb/>
Ufer &#x017F;chlagende Lebenskra&#x0364;fte abzuleiten, gallopirte<lb/>
er oft eine halbe Viertel&#x017F;tunde lang. Da er im¬<lb/>
mer kurz vor und nach <choice><sic>Sonnen-Untergaug</sic><corr>Sonnen-Untergang</corr></choice> ein ge¬<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;es wollu&#x0364;&#x017F;tiges trunknes Sehnen empfunden hat¬<lb/>
te &#x2014; die Nacht aber macht wie ein la&#x0364;ngerer Tod<lb/>
den Men&#x017F;chen erhaben und nimmt <choice><sic>ihn</sic><corr>ihm</corr></choice> die Erde: &#x2014;<lb/>
&#x017F;o zauderte er mit &#x017F;einer Landung in Auenthal &#x017F;o<lb/>
lang bis die <choice><sic>zerflie&#x017F;&#x017F;end</sic><corr>zerflie&#x017F;&#x017F;ende</corr></choice> Sonne durch die letzten<lb/>
Kornfelder vor dem Dorfe mit Goldfa&#x0364;den die &#x017F;ie ge¬<lb/>
rade u&#x0364;ber die Aehren zog, &#x017F;ein blaues Ro&#x0364;ckchen<lb/>
&#x017F;tickte und bis &#x017F;ein Schatten an den Berg u&#x0364;ber<lb/>
den Fluß wie ein Rie&#x017F;e wandelte. Dann &#x017F;chwank¬<lb/>
te er, unter dem wie aus der Vergangenheit her¬<lb/>
u&#x0364;berklingenden Abendla&#x0364;uten ins Dorf hinein und<lb/>
war allen Men&#x017F;chen gut, &#x017F;elb&#x017F;t dem Pra&#x0364;fektus.<lb/>
Gieng er denn um &#x017F;eines Vaters Haus und &#x017F;ah<lb/>
am obern Kapfen&#x017F;ter den Wider&#x017F;chein des Monds<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0402] nach der Abendkirche heim nach Auenthal und hat¬ te mit den Leuten in allen Gaſſen Mitleiden, daß ſie da bleiben mußten. Drauſſen dehnte ſich ſeine Bruſt mit dem aufgebaueten Himmel vor ihm aus und halbtrunken im Konzertſaal aller Voͤgel horcht er wolluͤſtig bald auf die gefiederten Sopraniſten bald auf ſeine Phantaſien. Um nur ſeine uͤber die Ufer ſchlagende Lebenskraͤfte abzuleiten, gallopirte er oft eine halbe Viertelſtunde lang. Da er im¬ mer kurz vor und nach Sonnen-Untergang ein ge¬ wiſſes wolluͤſtiges trunknes Sehnen empfunden hat¬ te — die Nacht aber macht wie ein laͤngerer Tod den Menſchen erhaben und nimmt ihm die Erde: — ſo zauderte er mit ſeiner Landung in Auenthal ſo lang bis die zerflieſſende Sonne durch die letzten Kornfelder vor dem Dorfe mit Goldfaͤden die ſie ge¬ rade uͤber die Aehren zog, ſein blaues Roͤckchen ſtickte und bis ſein Schatten an den Berg uͤber den Fluß wie ein Rieſe wandelte. Dann ſchwank¬ te er, unter dem wie aus der Vergangenheit her¬ uͤberklingenden Abendlaͤuten ins Dorf hinein und war allen Menſchen gut, ſelbſt dem Praͤfektus. Gieng er denn um ſeines Vaters Haus und ſah am obern Kapfenſter den Widerſchein des Monds

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/402
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/402>, abgerufen am 22.11.2024.