erschuf und wo beide sich zu einem brausenden Wol¬ lust Ozean in einander ergossen. Aus dieser Mor¬ gen-Fluth des Lebens und Freuens kehrte er in sein schwarzes Stübgen zurück und suchte die Kräf¬ te in kleinern Freuden wieder. Er war da über alles froh, über jedes beschienene und unbeschienene Fenster, über die ausgefegte Stube, über das Frühstück, das mit seinen Amts-Revenüen bestritten wurde, über 7 Uhr weil er nicht in die Sekunda muste, über seine Mutter die alle Morgen froh war daß er Schulmeister war und sie nicht aus dem vertrauten Hause muste.
Unter dem Kaffee schnitt er sich außer den Semmeln die Federn zur Messiade, die er damals die drei letzten Gesänge ausgenommen, gar aussang. Seine gröste Sorgfalt verwandte er darauf, daß er die epischen Federn falsch schnitt entweder wie Pfähle oder ohne Spalt oder mit einem zweiten Extraspalt, der hinaus niesete: denn da alles in Hexametern und zwar in solchen, die nicht zu ver¬ stehen waren, verfasset seyn sollte: so mußte der Dichter, da ers durch keine Bemühung zur gering¬ sten Unverständlichkeit bringen konnte -- er fassete allemal den Augenblick jede Zeile und jeden pes --
erſchuf und wo beide ſich zu einem brauſenden Wol¬ luſt Ozean in einander ergoſſen. Aus dieſer Mor¬ gen-Fluth des Lebens und Freuens kehrte er in ſein ſchwarzes Stuͤbgen zuruͤck und ſuchte die Kraͤf¬ te in kleinern Freuden wieder. Er war da uͤber alles froh, uͤber jedes beſchienene und unbeſchienene Fenſter, uͤber die ausgefegte Stube, uͤber das Fruͤhſtuͤck, das mit ſeinen Amts-Revenuͤen beſtritten wurde, uͤber 7 Uhr weil er nicht in die Sekunda muſte, uͤber ſeine Mutter die alle Morgen froh war daß er Schulmeiſter war und ſie nicht aus dem vertrauten Hauſe muſte.
Unter dem Kaffee ſchnitt er ſich außer den Semmeln die Federn zur Meſſiade, die er damals die drei letzten Geſaͤnge ausgenommen, gar ausſang. Seine groͤſte Sorgfalt verwandte er darauf, daß er die epiſchen Federn falſch ſchnitt entweder wie Pfaͤhle oder ohne Spalt oder mit einem zweiten Extraſpalt, der hinaus nieſete: denn da alles in Hexametern und zwar in ſolchen, die nicht zu ver¬ ſtehen waren, verfaſſet ſeyn ſollte: ſo mußte der Dichter, da ers durch keine Bemuͤhung zur gering¬ ſten Unverſtaͤndlichkeit bringen konnte — er faſſete allemal den Augenblick jede Zeile und jeden pes —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0415"n="405"/>
erſchuf und wo beide ſich zu einem brauſenden Wol¬<lb/>
luſt Ozean in einander ergoſſen. Aus dieſer Mor¬<lb/>
gen-Fluth des Lebens und Freuens kehrte er in<lb/>ſein ſchwarzes Stuͤbgen zuruͤck und ſuchte die Kraͤf¬<lb/>
te in kleinern Freuden wieder. Er war da uͤber<lb/>
alles froh, uͤber jedes beſchienene und unbeſchienene<lb/>
Fenſter, uͤber die ausgefegte Stube, uͤber das Fruͤhſtuͤck,<lb/>
das mit ſeinen Amts-Revenuͤen beſtritten wurde, uͤber<lb/>
7 Uhr weil er nicht in die Sekunda muſte, uͤber<lb/>ſeine Mutter die alle Morgen froh war daß er<lb/>
Schulmeiſter war und ſie nicht aus dem vertrauten<lb/>
Hauſe muſte.</p><lb/><p>Unter dem Kaffee ſchnitt er ſich außer den<lb/>
Semmeln die Federn zur Meſſiade, die er damals<lb/>
die drei letzten Geſaͤnge ausgenommen, gar ausſang.<lb/>
Seine groͤſte Sorgfalt verwandte er darauf, daß<lb/>
er die epiſchen Federn falſch ſchnitt entweder wie<lb/>
Pfaͤhle oder ohne Spalt oder mit einem zweiten<lb/>
Extraſpalt, der hinaus nieſete: denn da alles in<lb/>
Hexametern und zwar in ſolchen, die nicht zu ver¬<lb/>ſtehen waren, verfaſſet ſeyn ſollte: ſo mußte der<lb/>
Dichter, da ers durch keine Bemuͤhung zur gering¬<lb/>ſten Unverſtaͤndlichkeit bringen konnte — er faſſete<lb/>
allemal den Augenblick jede Zeile und jeden <hirendition="#aq">pes</hi>—<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[405/0415]
erſchuf und wo beide ſich zu einem brauſenden Wol¬
luſt Ozean in einander ergoſſen. Aus dieſer Mor¬
gen-Fluth des Lebens und Freuens kehrte er in
ſein ſchwarzes Stuͤbgen zuruͤck und ſuchte die Kraͤf¬
te in kleinern Freuden wieder. Er war da uͤber
alles froh, uͤber jedes beſchienene und unbeſchienene
Fenſter, uͤber die ausgefegte Stube, uͤber das Fruͤhſtuͤck,
das mit ſeinen Amts-Revenuͤen beſtritten wurde, uͤber
7 Uhr weil er nicht in die Sekunda muſte, uͤber
ſeine Mutter die alle Morgen froh war daß er
Schulmeiſter war und ſie nicht aus dem vertrauten
Hauſe muſte.
Unter dem Kaffee ſchnitt er ſich außer den
Semmeln die Federn zur Meſſiade, die er damals
die drei letzten Geſaͤnge ausgenommen, gar ausſang.
Seine groͤſte Sorgfalt verwandte er darauf, daß
er die epiſchen Federn falſch ſchnitt entweder wie
Pfaͤhle oder ohne Spalt oder mit einem zweiten
Extraſpalt, der hinaus nieſete: denn da alles in
Hexametern und zwar in ſolchen, die nicht zu ver¬
ſtehen waren, verfaſſet ſeyn ſollte: ſo mußte der
Dichter, da ers durch keine Bemuͤhung zur gering¬
ſten Unverſtaͤndlichkeit bringen konnte — er faſſete
allemal den Augenblick jede Zeile und jeden pes —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/415>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.