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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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gehen; vorher nahm er das Abendessen beim Schwie¬
gervater ein, aber mit schlechtem Nutzen: schon un¬
ter dem Tischgebet wurde sein Hundshunger matt
und unter den Allotriis darauf gar unsichtbar. Wenn
ichs lesen könnte: so könnt' ich das ganze Konterfei
dieses Abends aus seiner Messiade haben, in die er
ihn ganz wie er war, im sechsten Gesang hineinge¬
flochten, wie alle große Skribenten ihren Lebenslauf,
ihre Weiber, Kinder, Aecker, Vieh in ihre opera
omnia
stricken. Er dachte, in der gedruckten Messia¬
de stände der Abend auch. In seiner wird es episch
ausgeführet seyn, daß die Bauern auf den Rainen
wateten und den Schuß der Halme maßen und ihn
über das Wasser herüber als ihren neuen wohlverord¬
neten Kantor grüßten -- daß die Kinder auf Blät¬
tern schalmeiten und in Batzen-Flöten stiessen und
daß alle Büsche und Blumen- und Blütenkelche voll¬
stimmig besetzte Orchester waren, aus denen allen et¬
was heraussang oder sumsete oder schnurrte -- und
daß alles zuletzt so feierlich wurde als hätte die Erde
selber einen Sonntag, indem die Höhen und Wälder
um diesen Zauberkreis rauchten und indem die Son¬
ne gen Mitternacht durch einen illuminirten Tri¬
umphbogen hinunter, und der Mond gen Mittag

gehen; vorher nahm er das Abendeſſen beim Schwie¬
gervater ein, aber mit ſchlechtem Nutzen: ſchon un¬
ter dem Tiſchgebet wurde ſein Hundshunger matt
und unter den Allotriis darauf gar unſichtbar. Wenn
ichs leſen koͤnnte: ſo koͤnnt' ich das ganze Konterfei
dieſes Abends aus ſeiner Meſſiade haben, in die er
ihn ganz wie er war, im ſechſten Geſang hineinge¬
flochten, wie alle große Skribenten ihren Lebenslauf,
ihre Weiber, Kinder, Aecker, Vieh in ihre opera
omnia
ſtricken. Er dachte, in der gedruckten Meſſia¬
de ſtaͤnde der Abend auch. In ſeiner wird es epiſch
ausgefuͤhret ſeyn, daß die Bauern auf den Rainen
wateten und den Schuß der Halme maßen und ihn
uͤber das Waſſer heruͤber als ihren neuen wohlverord¬
neten Kantor gruͤßten — daß die Kinder auf Blaͤt¬
tern ſchalmeiten und in Batzen-Floͤten ſtieſſen und
daß alle Buͤſche und Blumen- und Bluͤtenkelche voll¬
ſtimmig beſetzte Orcheſter waren, aus denen allen et¬
was herausſang oder ſumſete oder ſchnurrte — und
daß alles zuletzt ſo feierlich wurde als haͤtte die Erde
ſelber einen Sonntag, indem die Hoͤhen und Waͤlder
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[412/0422] gehen; vorher nahm er das Abendeſſen beim Schwie¬ gervater ein, aber mit ſchlechtem Nutzen: ſchon un¬ ter dem Tiſchgebet wurde ſein Hundshunger matt und unter den Allotriis darauf gar unſichtbar. Wenn ichs leſen koͤnnte: ſo koͤnnt' ich das ganze Konterfei dieſes Abends aus ſeiner Meſſiade haben, in die er ihn ganz wie er war, im ſechſten Geſang hineinge¬ flochten, wie alle große Skribenten ihren Lebenslauf, ihre Weiber, Kinder, Aecker, Vieh in ihre opera omnia ſtricken. Er dachte, in der gedruckten Meſſia¬ de ſtaͤnde der Abend auch. In ſeiner wird es epiſch ausgefuͤhret ſeyn, daß die Bauern auf den Rainen wateten und den Schuß der Halme maßen und ihn uͤber das Waſſer heruͤber als ihren neuen wohlverord¬ neten Kantor gruͤßten — daß die Kinder auf Blaͤt¬ tern ſchalmeiten und in Batzen-Floͤten ſtieſſen und daß alle Buͤſche und Blumen- und Bluͤtenkelche voll¬ ſtimmig beſetzte Orcheſter waren, aus denen allen et¬ was herausſang oder ſumſete oder ſchnurrte — und daß alles zuletzt ſo feierlich wurde als haͤtte die Erde ſelber einen Sonntag, indem die Hoͤhen und Waͤlder um dieſen Zauberkreis rauchten und indem die Son¬ ne gen Mitternacht durch einen illuminirten Tri¬ umphbogen hinunter, und der Mond gen Mittag

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/422>, abgerufen am 15.06.2024.