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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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ge, wo man nach Auenthal hinein schauet, mich
noch einmal nach dem Leidenstheater umsah und da
ich unter den rauchenden Häusern bloß das Trau¬
erhaus unbewölket da stehen und den Todtengrä¬
ber oben auf dem Gottesacker das Grab aushauen
sah, und da ich das Leichenläuten seinetwegen hör¬
te und daran dachte, wie die Wittwe im stum¬
men Kirchthurm mit rinnenden Augen das Seil
unten reiße: so fühlt' ich unser aller Nichts und
schwur, ein so unbedeutendes Leben zu verachten,
zu verdienen und zu genießen. --

Wohl dir, lieber Wuz, daß ich -- wenn ich
nach Auenthal gehe und dein verrasetes Grab aus¬
suche und mich darüber kümmere, daß die in dein
Grab beerdigte Puppe des Nachtschmetterlings mit
Flügeln daraus kriecht, daß dein Grab ein Lustla¬
ger bohrender Regenwürmer, rückender Schnecken,
wirbelnder Ameisen und nagender Räupgen ist, in¬
deß du tief unter allen diesen mit unverrücktem
Haupte auf deinen Hobelspähnen liegst und indeß
keine liebkosende Sonne durch deine Bretter und
deine mit Leinwand zugeleimten Augen bricht --
wohl dir, daß ich dann sagen kann: "da er noch

ge, wo man nach Auenthal hinein ſchauet, mich
noch einmal nach dem Leidenstheater umſah und da
ich unter den rauchenden Haͤuſern bloß das Trau¬
erhaus unbewoͤlket da ſtehen und den Todtengraͤ¬
ber oben auf dem Gottesacker das Grab aushauen
ſah, und da ich das Leichenlaͤuten ſeinetwegen hoͤr¬
te und daran dachte, wie die Wittwe im ſtum¬
men Kirchthurm mit rinnenden Augen das Seil
unten reiße: ſo fuͤhlt' ich unſer aller Nichts und
ſchwur, ein ſo unbedeutendes Leben zu verachten,
zu verdienen und zu genießen. —

Wohl dir, lieber Wuz, daß ich — wenn ich
nach Auenthal gehe und dein verraſetes Grab aus¬
ſuche und mich daruͤber kuͤmmere, daß die in dein
Grab beerdigte Puppe des Nachtſchmetterlings mit
Fluͤgeln daraus kriecht, daß dein Grab ein Luſtla¬
ger bohrender Regenwuͤrmer, ruͤckender Schnecken,
wirbelnder Ameiſen und nagender Raͤupgen iſt, in¬
deß du tief unter allen dieſen mit unverruͤcktem
Haupte auf deinen Hobelſpaͤhnen liegſt und indeß
keine liebkoſende Sonne durch deine Bretter und
deine mit Leinwand zugeleimten Augen bricht —
wohl dir, daß ich dann ſagen kann: „da er noch

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[445/0455] ge, wo man nach Auenthal hinein ſchauet, mich noch einmal nach dem Leidenstheater umſah und da ich unter den rauchenden Haͤuſern bloß das Trau¬ erhaus unbewoͤlket da ſtehen und den Todtengraͤ¬ ber oben auf dem Gottesacker das Grab aushauen ſah, und da ich das Leichenlaͤuten ſeinetwegen hoͤr¬ te und daran dachte, wie die Wittwe im ſtum¬ men Kirchthurm mit rinnenden Augen das Seil unten reiße: ſo fuͤhlt' ich unſer aller Nichts und ſchwur, ein ſo unbedeutendes Leben zu verachten, zu verdienen und zu genießen. — Wohl dir, lieber Wuz, daß ich — wenn ich nach Auenthal gehe und dein verraſetes Grab aus¬ ſuche und mich daruͤber kuͤmmere, daß die in dein Grab beerdigte Puppe des Nachtſchmetterlings mit Fluͤgeln daraus kriecht, daß dein Grab ein Luſtla¬ ger bohrender Regenwuͤrmer, ruͤckender Schnecken, wirbelnder Ameiſen und nagender Raͤupgen iſt, in¬ deß du tief unter allen dieſen mit unverruͤcktem Haupte auf deinen Hobelſpaͤhnen liegſt und indeß keine liebkoſende Sonne durch deine Bretter und deine mit Leinwand zugeleimten Augen bricht — wohl dir, daß ich dann ſagen kann: „da er noch

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/455>, abgerufen am 21.11.2024.