ge, wo man nach Auenthal hinein schauet, mich noch einmal nach dem Leidenstheater umsah und da ich unter den rauchenden Häusern bloß das Trau¬ erhaus unbewölket da stehen und den Todtengrä¬ ber oben auf dem Gottesacker das Grab aushauen sah, und da ich das Leichenläuten seinetwegen hör¬ te und daran dachte, wie die Wittwe im stum¬ men Kirchthurm mit rinnenden Augen das Seil unten reiße: so fühlt' ich unser aller Nichts und schwur, ein so unbedeutendes Leben zu verachten, zu verdienen und zu genießen. --
Wohl dir, lieber Wuz, daß ich -- wenn ich nach Auenthal gehe und dein verrasetes Grab aus¬ suche und mich darüber kümmere, daß die in dein Grab beerdigte Puppe des Nachtschmetterlings mit Flügeln daraus kriecht, daß dein Grab ein Lustla¬ ger bohrender Regenwürmer, rückender Schnecken, wirbelnder Ameisen und nagender Räupgen ist, in¬ deß du tief unter allen diesen mit unverrücktem Haupte auf deinen Hobelspähnen liegst und indeß keine liebkosende Sonne durch deine Bretter und deine mit Leinwand zugeleimten Augen bricht -- wohl dir, daß ich dann sagen kann: "da er noch
ge, wo man nach Auenthal hinein ſchauet, mich noch einmal nach dem Leidenstheater umſah und da ich unter den rauchenden Haͤuſern bloß das Trau¬ erhaus unbewoͤlket da ſtehen und den Todtengraͤ¬ ber oben auf dem Gottesacker das Grab aushauen ſah, und da ich das Leichenlaͤuten ſeinetwegen hoͤr¬ te und daran dachte, wie die Wittwe im ſtum¬ men Kirchthurm mit rinnenden Augen das Seil unten reiße: ſo fuͤhlt' ich unſer aller Nichts und ſchwur, ein ſo unbedeutendes Leben zu verachten, zu verdienen und zu genießen. —
Wohl dir, lieber Wuz, daß ich — wenn ich nach Auenthal gehe und dein verraſetes Grab aus¬ ſuche und mich daruͤber kuͤmmere, daß die in dein Grab beerdigte Puppe des Nachtſchmetterlings mit Fluͤgeln daraus kriecht, daß dein Grab ein Luſtla¬ ger bohrender Regenwuͤrmer, ruͤckender Schnecken, wirbelnder Ameiſen und nagender Raͤupgen iſt, in¬ deß du tief unter allen dieſen mit unverruͤcktem Haupte auf deinen Hobelſpaͤhnen liegſt und indeß keine liebkoſende Sonne durch deine Bretter und deine mit Leinwand zugeleimten Augen bricht — wohl dir, daß ich dann ſagen kann: „da er noch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0455"n="445"/>
ge, wo man nach Auenthal hinein ſchauet, mich<lb/>
noch einmal nach dem Leidenstheater umſah und da<lb/>
ich unter den rauchenden Haͤuſern bloß das Trau¬<lb/>
erhaus unbewoͤlket da ſtehen und den Todtengraͤ¬<lb/>
ber oben auf dem Gottesacker das Grab aushauen<lb/>ſah, und da ich das Leichenlaͤuten ſeinetwegen hoͤr¬<lb/>
te und daran dachte, wie die Wittwe im ſtum¬<lb/>
men Kirchthurm mit rinnenden Augen das Seil<lb/>
unten reiße: ſo fuͤhlt' ich unſer aller Nichts und<lb/>ſchwur, ein ſo unbedeutendes Leben zu verachten,<lb/>
zu verdienen und zu genießen. —</p><lb/><p>Wohl dir, lieber Wuz, daß ich — wenn ich<lb/>
nach Auenthal gehe und dein verraſetes Grab aus¬<lb/>ſuche und mich daruͤber kuͤmmere, daß die in dein<lb/>
Grab beerdigte Puppe des Nachtſchmetterlings mit<lb/>
Fluͤgeln daraus kriecht, daß dein Grab ein Luſtla¬<lb/>
ger bohrender Regenwuͤrmer, ruͤckender Schnecken,<lb/>
wirbelnder Ameiſen und nagender Raͤupgen iſt, in¬<lb/>
deß du tief unter allen dieſen mit unverruͤcktem<lb/>
Haupte auf deinen Hobelſpaͤhnen liegſt und indeß<lb/>
keine liebkoſende Sonne durch deine Bretter und<lb/>
deine mit Leinwand zugeleimten Augen bricht —<lb/>
wohl dir, daß ich dann ſagen kann: „da er noch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[445/0455]
ge, wo man nach Auenthal hinein ſchauet, mich
noch einmal nach dem Leidenstheater umſah und da
ich unter den rauchenden Haͤuſern bloß das Trau¬
erhaus unbewoͤlket da ſtehen und den Todtengraͤ¬
ber oben auf dem Gottesacker das Grab aushauen
ſah, und da ich das Leichenlaͤuten ſeinetwegen hoͤr¬
te und daran dachte, wie die Wittwe im ſtum¬
men Kirchthurm mit rinnenden Augen das Seil
unten reiße: ſo fuͤhlt' ich unſer aller Nichts und
ſchwur, ein ſo unbedeutendes Leben zu verachten,
zu verdienen und zu genießen. —
Wohl dir, lieber Wuz, daß ich — wenn ich
nach Auenthal gehe und dein verraſetes Grab aus¬
ſuche und mich daruͤber kuͤmmere, daß die in dein
Grab beerdigte Puppe des Nachtſchmetterlings mit
Fluͤgeln daraus kriecht, daß dein Grab ein Luſtla¬
ger bohrender Regenwuͤrmer, ruͤckender Schnecken,
wirbelnder Ameiſen und nagender Raͤupgen iſt, in¬
deß du tief unter allen dieſen mit unverruͤcktem
Haupte auf deinen Hobelſpaͤhnen liegſt und indeß
keine liebkoſende Sonne durch deine Bretter und
deine mit Leinwand zugeleimten Augen bricht —
wohl dir, daß ich dann ſagen kann: „da er noch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/455>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.