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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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-- eine Gesichtszuckung kam auf die andre -- den
Mund zog eine Entzückung immer lächelnder aus ein¬
ander -- Frühlings-Phantasien, die weder dieses
Leben erfahren noch jenes haben wird, spielten mit
der sinkenden Seele -- endlich stürzt der Todesengel
den blaßen Leichenschleier auf sein Angesicht und hob
hinter ihm die blühende Seele mit ihren tiefsten
Wurzeln aus dem körperlichen Treibkasten voll orga¬
nisirter Erde. . . . . Das Sterben ist erhaben;
hinter schwarzen Vorhängen thut der einsame Tod
das stille Wunder und arbeitet für die andre Welt
und die Sterblichen stehen da mit nassen, aber
stumpfen Augen neben der überirdischen Szene . . .

"Du guter Vater, sagte seine Wittwe, wenn
dirs jemand vor 43 Jahren hätte sagen sollen, daß
man dich am 13. Mai, wo deine Achtwochen an¬
giengen, hinaustragen würde" -- "Seine Acht¬
wochen, sagt' ich, gehen wieder an und währen
länger."

Da ich um 11 Uhr fortgieng: war mir die
Erde gleichsam heilig und Todte schienen mir neben
mir zu gehen; ich sah auf zum Himmel als könnt'
ich im endlosen Aether nur in Einer Richtung den
Gestorbnen suchen; und da ich oben auf dem Ber¬

— eine Geſichtszuckung kam auf die andre — den
Mund zog eine Entzuͤckung immer laͤchelnder aus ein¬
ander — Fruͤhlings-Phantaſien, die weder dieſes
Leben erfahren noch jenes haben wird, ſpielten mit
der ſinkenden Seele — endlich ſtuͤrzt der Todesengel
den blaßen Leichenſchleier auf ſein Angeſicht und hob
hinter ihm die bluͤhende Seele mit ihren tiefſten
Wurzeln aus dem koͤrperlichen Treibkaſten voll orga¬
niſirter Erde. . . . . Das Sterben iſt erhaben;
hinter ſchwarzen Vorhaͤngen thut der einſame Tod
das ſtille Wunder und arbeitet fuͤr die andre Welt
und die Sterblichen ſtehen da mit naſſen, aber
ſtumpfen Augen neben der uͤberirdiſchen Szene . . .

„Du guter Vater, ſagte ſeine Wittwe, wenn
dirs jemand vor 43 Jahren haͤtte ſagen ſollen, daß
man dich am 13. Mai, wo deine Achtwochen an¬
giengen, hinaustragen wuͤrde“ — „Seine Acht¬
wochen, ſagt' ich, gehen wieder an und waͤhren
laͤnger.“

Da ich um 11 Uhr fortgieng: war mir die
Erde gleichſam heilig und Todte ſchienen mir neben
mir zu gehen; ich ſah auf zum Himmel als koͤnnt'
ich im endloſen Aether nur in Einer Richtung den
Geſtorbnen ſuchen; und da ich oben auf dem Ber¬

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[444/0454] — eine Geſichtszuckung kam auf die andre — den Mund zog eine Entzuͤckung immer laͤchelnder aus ein¬ ander — Fruͤhlings-Phantaſien, die weder dieſes Leben erfahren noch jenes haben wird, ſpielten mit der ſinkenden Seele — endlich ſtuͤrzt der Todesengel den blaßen Leichenſchleier auf ſein Angeſicht und hob hinter ihm die bluͤhende Seele mit ihren tiefſten Wurzeln aus dem koͤrperlichen Treibkaſten voll orga¬ niſirter Erde. . . . . Das Sterben iſt erhaben; hinter ſchwarzen Vorhaͤngen thut der einſame Tod das ſtille Wunder und arbeitet fuͤr die andre Welt und die Sterblichen ſtehen da mit naſſen, aber ſtumpfen Augen neben der uͤberirdiſchen Szene . . . „Du guter Vater, ſagte ſeine Wittwe, wenn dirs jemand vor 43 Jahren haͤtte ſagen ſollen, daß man dich am 13. Mai, wo deine Achtwochen an¬ giengen, hinaustragen wuͤrde“ — „Seine Acht¬ wochen, ſagt' ich, gehen wieder an und waͤhren laͤnger.“ Da ich um 11 Uhr fortgieng: war mir die Erde gleichſam heilig und Todte ſchienen mir neben mir zu gehen; ich ſah auf zum Himmel als koͤnnt' ich im endloſen Aether nur in Einer Richtung den Geſtorbnen ſuchen; und da ich oben auf dem Ber¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/454>, abgerufen am 21.11.2024.