Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

mit meiner Schreibtafel, in der ich dieses Buch
zu Ende führen will, in der Nacht des Junius
empor, den die Maler wie den Tod mit einer
Sense malen. -- -- Es ist über 11 Uhr; auf dem
erloschnen blauen Himmels-Ozean über mir glimmt
nur hier und da ein zitterndes Pünktchen -- der
Arkturus wirft aus Westen seine kleinen Blitze auf
seine Erden und auf meine, der große Bär blinkt
aus Norden, und die Andromeda aus Osten --
der breite Mond liegt unter der Erde neben dem
Mittage der neuen Welt -- aber die eingesunkne
Abendröthe (dieser bunte Sonnen-Schatte) beugt
den Tagsschimmer der neuen Welt gemildert in die
alte herein und wirft ihn über zehn überlaubte
Dörfer um mich und über den schwarzen allein fort
redenden Strom, diese lange Wasseruhr der Zeit,
die damit ein Jahrtausend ums andre misset. -- --

So jämmerlich ist der enge Mensch; wenn er
ein Buch hinaus hat: so blickt er zu allen entleg¬
nen Sonnen auf, ob sie ihm nicht zusehen -- be¬
scheidner wäre es, er dächte, er werde bloß von
Europa und dessen indischen Besitzungen bemerkt.
-- -- Ich wünsche nicht, daß mich hier ein Che¬
rub, ein Seraph oder nur ein Berggeist mit

2. Theil. F f

mit meiner Schreibtafel, in der ich dieſes Buch
zu Ende fuͤhren will, in der Nacht des Junius
empor, den die Maler wie den Tod mit einer
Senſe malen. — — Es iſt uͤber 11 Uhr; auf dem
erloſchnen blauen Himmels-Ozean uͤber mir glimmt
nur hier und da ein zitterndes Puͤnktchen — der
Arkturus wirft aus Weſten ſeine kleinen Blitze auf
ſeine Erden und auf meine, der große Baͤr blinkt
aus Norden, und die Andromeda aus Oſten —
der breite Mond liegt unter der Erde neben dem
Mittage der neuen Welt — aber die eingeſunkne
Abendroͤthe (dieſer bunte Sonnen-Schatte) beugt
den Tagsſchimmer der neuen Welt gemildert in die
alte herein und wirft ihn uͤber zehn uͤberlaubte
Doͤrfer um mich und uͤber den ſchwarzen allein fort
redenden Strom, dieſe lange Waſſeruhr der Zeit,
die damit ein Jahrtauſend ums andre miſſet. — —

So jaͤmmerlich iſt der enge Menſch; wenn er
ein Buch hinaus hat: ſo blickt er zu allen entleg¬
nen Sonnen auf, ob ſie ihm nicht zuſehen — be¬
ſcheidner waͤre es, er daͤchte, er werde bloß von
Europa und deſſen indiſchen Beſitzungen bemerkt.
— — Ich wuͤnſche nicht, daß mich hier ein Che¬
rub, ein Seraph oder nur ein Berggeiſt mit

2. Theil. F f
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0459" n="449"/>
mit meiner Schreibtafel, in der ich die&#x017F;es Buch<lb/>
zu Ende fu&#x0364;hren will, in der Nacht des Junius<lb/>
empor, den die Maler wie den Tod mit einer<lb/>
Sen&#x017F;e malen. &#x2014; &#x2014; Es i&#x017F;t u&#x0364;ber 11 Uhr; auf dem<lb/>
erlo&#x017F;chnen blauen Himmels-Ozean u&#x0364;ber mir glimmt<lb/>
nur hier und da ein zitterndes Pu&#x0364;nktchen &#x2014; der<lb/>
Arkturus wirft aus We&#x017F;ten &#x017F;eine kleinen Blitze auf<lb/>
&#x017F;eine Erden und auf meine, der große Ba&#x0364;r blinkt<lb/>
aus Norden, und die Andromeda aus O&#x017F;ten &#x2014;<lb/>
der breite Mond liegt unter der Erde neben dem<lb/>
Mittage der neuen Welt &#x2014; aber die einge&#x017F;unkne<lb/>
Abendro&#x0364;the (die&#x017F;er bunte Sonnen-Schatte) beugt<lb/>
den Tags&#x017F;chimmer der neuen Welt gemildert in die<lb/>
alte herein und wirft ihn u&#x0364;ber zehn u&#x0364;berlaubte<lb/>
Do&#x0364;rfer um mich und u&#x0364;ber den &#x017F;chwarzen allein fort<lb/>
redenden Strom, die&#x017F;e lange Wa&#x017F;&#x017F;eruhr der Zeit,<lb/>
die damit ein Jahrtau&#x017F;end ums andre mi&#x017F;&#x017F;et. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>So ja&#x0364;mmerlich i&#x017F;t der enge Men&#x017F;ch; wenn er<lb/>
ein Buch hinaus hat: &#x017F;o blickt er zu allen entleg¬<lb/>
nen Sonnen auf, ob &#x017F;ie ihm nicht zu&#x017F;ehen &#x2014; be¬<lb/>
&#x017F;cheidner wa&#x0364;re es, er da&#x0364;chte, er werde bloß von<lb/>
Europa und de&#x017F;&#x017F;en indi&#x017F;chen Be&#x017F;itzungen bemerkt.<lb/>
&#x2014; &#x2014; Ich wu&#x0364;n&#x017F;che nicht, daß mich hier ein Che¬<lb/>
rub, ein Seraph oder nur ein Berggei&#x017F;t mit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2. Theil. F f<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[449/0459] mit meiner Schreibtafel, in der ich dieſes Buch zu Ende fuͤhren will, in der Nacht des Junius empor, den die Maler wie den Tod mit einer Senſe malen. — — Es iſt uͤber 11 Uhr; auf dem erloſchnen blauen Himmels-Ozean uͤber mir glimmt nur hier und da ein zitterndes Puͤnktchen — der Arkturus wirft aus Weſten ſeine kleinen Blitze auf ſeine Erden und auf meine, der große Baͤr blinkt aus Norden, und die Andromeda aus Oſten — der breite Mond liegt unter der Erde neben dem Mittage der neuen Welt — aber die eingeſunkne Abendroͤthe (dieſer bunte Sonnen-Schatte) beugt den Tagsſchimmer der neuen Welt gemildert in die alte herein und wirft ihn uͤber zehn uͤberlaubte Doͤrfer um mich und uͤber den ſchwarzen allein fort redenden Strom, dieſe lange Waſſeruhr der Zeit, die damit ein Jahrtauſend ums andre miſſet. — — So jaͤmmerlich iſt der enge Menſch; wenn er ein Buch hinaus hat: ſo blickt er zu allen entleg¬ nen Sonnen auf, ob ſie ihm nicht zuſehen — be¬ ſcheidner waͤre es, er daͤchte, er werde bloß von Europa und deſſen indiſchen Beſitzungen bemerkt. — — Ich wuͤnſche nicht, daß mich hier ein Che¬ rub, ein Seraph oder nur ein Berggeiſt mit 2. Theil. F f

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/459
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/459>, abgerufen am 21.11.2024.