Kam nun Albano zum Exerzizienmeister: so konnt' er vor dem lauten Nachklange der vorigen Stunde -- weil Kinder von einer ge¬ wissen Tiefe, wie Gebäude von einiger Größe ein Echo geben -- das nur schwach verneh¬ men, was Falterle befahl, und nur, wenn er einige Tage ohne die historische Rührung blieb, wurd' er für die kleinern Lehrstunden weiter offen, wie vergoldete Sachen erst, wenn das Gold herunter ist, sich versilbern lassen. Das Unglück war noch, daß er seine Frohntänze gerade neben der Schreibstube des Direktors, der da in eignen begriffen war, zu machen hatte. Es traf sich oft, daß Wehrfriz, wenn Alban so zerstreuet wie eine verliebte Moitistin, in der Anglaise aufmerkte, drinnen unter dem Diktiren schrie: ins drei Teufels Namen, chassir'! -- Eben so viele Fälle würde man aufzählen können, wo der Mann, wenn der Musikmeister wie ein Trommelbaß mit ewigem Ermahnen zum Piano unter dem Adagio weg¬ lief, drinnen mit dem erdenklichsten Fortissimo rufen mußte: Pianissimo, Satan, Pianissimo! -- Einigemale mußt' er von seinen Arbeiten
Titan. I. N
Kam nun Albano zum Exerzizienmeiſter: ſo konnt' er vor dem lauten Nachklange der vorigen Stunde — weil Kinder von einer ge¬ wiſſen Tiefe, wie Gebäude von einiger Größe ein Echo geben — das nur ſchwach verneh¬ men, was Falterle befahl, und nur, wenn er einige Tage ohne die hiſtoriſche Rührung blieb, wurd' er für die kleinern Lehrſtunden weiter offen, wie vergoldete Sachen erſt, wenn das Gold herunter iſt, ſich verſilbern laſſen. Das Unglück war noch, daß er ſeine Frohntänze gerade neben der Schreibſtube des Direktors, der da in eignen begriffen war, zu machen hatte. Es traf ſich oft, daß Wehrfriz, wenn Alban ſo zerſtreuet wie eine verliebte Moitiſtin, in der Anglaiſe aufmerkte, drinnen unter dem Diktiren ſchrie: ins drei Teufels Namen, chaſſir'! — Eben ſo viele Fälle würde man aufzählen können, wo der Mann, wenn der Muſikmeiſter wie ein Trommelbaß mit ewigem Ermahnen zum Piano unter dem Adagio weg¬ lief, drinnen mit dem erdenklichſten Fortiſſimo rufen mußte: Pianiſſimo, Satan, Pianiſſimo! — Einigemale mußt' er von ſeinen Arbeiten
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Kam nun Albano zum Exerzizienmeiſter:
ſo konnt' er vor dem lauten Nachklange der
vorigen Stunde — weil Kinder von einer ge¬
wiſſen Tiefe, wie Gebäude von einiger Größe
ein Echo geben — das nur ſchwach verneh¬
men, was Falterle befahl, und nur, wenn er
einige Tage ohne die hiſtoriſche Rührung blieb,
wurd' er für die kleinern Lehrſtunden weiter
offen, wie vergoldete Sachen erſt, wenn das
Gold herunter iſt, ſich verſilbern laſſen. Das
Unglück war noch, daß er ſeine Frohntänze
gerade neben der Schreibſtube des Direktors,
der da in eignen begriffen war, zu machen
hatte. Es traf ſich oft, daß Wehrfriz, wenn
Alban ſo zerſtreuet wie eine verliebte Moitiſtin,
in der Anglaiſe aufmerkte, drinnen unter dem
Diktiren ſchrie: ins drei Teufels Namen,
chaſſir'! — Eben ſo viele Fälle würde man
aufzählen können, wo der Mann, wenn der
Muſikmeiſter wie ein Trommelbaß mit ewigem
Ermahnen zum Piano unter dem Adagio weg¬
lief, drinnen mit dem erdenklichſten Fortiſſimo
rufen mußte: Pianiſſimo, Satan, Pianiſſimo!
— Einigemale mußt' er von ſeinen Arbeiten
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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/213>, abgerufen am 29.11.2024.
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