niedlichen freundlichen Falterle mit jener hei¬ ligen ersten Menschenliebe, womit ein Kinderherz sich an alle Leute des Hauses und des Dorfes anklammert, schon darum lieb, weil den Wiener eine Dame um den Goldfin¬ ger, ja innen um den Goldring selber aufwik¬ keln konnte und weil er vom Ritter des gold¬ nen Vliesses wie von einem Könige sprach und log, und weil er die gefälligste Haut war, die je über die Erde lief.
Da ich in meinen Biographien Duldung und eine vielseitige Gerechtigkeit gegen alle Karaktere lehren will: so muß ich hier mit meinem Muster der Toleranz vorangehen, in¬ dem ich von Falterle bemerke, daß seine arme dünne Seele sich selber nicht unter den steinernen Gesetztafeln der Etiquette und unterdem hölzernen Joche eines imponirenden Standes aufzubrin¬ gen vermochte. Wem that der arme Teufel et¬ was an? Nicht einmal Damen, für welche er zwar gleich einem Kupferstecher, immer vor dem Spiegel arbeitete an seinem Ich, allein nur um mit diesem Kunstwerke, gleich andern Figuri¬ sten reine Schönheiten darzustellen, nicht
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niedlichen freundlichen Falterle mit jener hei¬ ligen erſten Menſchenliebe, womit ein Kinderherz ſich an alle Leute des Hauſes und des Dorfes anklammert, ſchon darum lieb, weil den Wiener eine Dame um den Goldfin¬ ger, ja innen um den Goldring ſelber aufwik¬ keln konnte und weil er vom Ritter des gold¬ nen Vlieſſes wie von einem Könige ſprach und log, und weil er die gefälligſte Haut war, die je über die Erde lief.
Da ich in meinen Biographien Duldung und eine vielſeitige Gerechtigkeit gegen alle Karaktere lehren will: ſo muß ich hier mit meinem Muſter der Toleranz vorangehen, in¬ dem ich von Falterle bemerke, daß ſeine arme dünne Seele ſich ſelber nicht unter den ſteinernen Geſetztafeln der Etiquette und unterdem hölzernen Joche eines imponirenden Standes aufzubrin¬ gen vermochte. Wem that der arme Teufel et¬ was an? Nicht einmal Damen, für welche er zwar gleich einem Kupferſtecher, immer vor dem Spiegel arbeitete an ſeinem Ich, allein nur um mit dieſem Kunſtwerke, gleich andern Figuri¬ ſten reine Schönheiten darzuſtellen, nicht
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[195/0215]
niedlichen freundlichen Falterle mit jener hei¬
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Kinderherz ſich an alle Leute des Hauſes und
des Dorfes anklammert, ſchon darum lieb,
weil den Wiener eine Dame um den Goldfin¬
ger, ja innen um den Goldring ſelber aufwik¬
keln konnte und weil er vom Ritter des gold¬
nen Vlieſſes wie von einem Könige ſprach und
log, und weil er die gefälligſte Haut war, die
je über die Erde lief.
Da ich in meinen Biographien Duldung
und eine vielſeitige Gerechtigkeit gegen alle
Karaktere lehren will: ſo muß ich hier mit
meinem Muſter der Toleranz vorangehen, in¬
dem ich von Falterle bemerke, daß ſeine arme
dünne Seele ſich ſelber nicht unter den ſteinernen
Geſetztafeln der Etiquette und unterdem hölzernen
Joche eines imponirenden Standes aufzubrin¬
gen vermochte. Wem that der arme Teufel et¬
was an? Nicht einmal Damen, für welche er
zwar gleich einem Kupferſtecher, immer vor dem
Spiegel arbeitete an ſeinem Ich, allein nur um
mit dieſem Kunſtwerke, gleich andern Figuri¬
ſten reine Schönheiten darzuſtellen, nicht
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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/215>, abgerufen am 29.11.2024.
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